Jagdhunde (German Edition)
anders als eine Ermittlung. Sie basiert auf dem, was aus den Falldokumenten der Polizei hervorgeht, sowie auf Gesprächen mit dem Beschuldigten. Ich weiß nicht, wieso er das verschwiegen hat, aber das ändert nichts an meiner Einschätzung. Eigentlich untermauert das nur sein Motiv.«
»Inwiefern?«
»Die sexuelle Lust sitzt nicht zwischen den Beinen. Sie sitzt im Kopf. Außerdem handelt es sich bei sexuellen Übergriffen oft um Macht und nicht um Sex.«
Wisting sah Line an, während er dem Psychiater zuhörte. Sie hatte den Motor ihres Wagens abgestellt, aber die Scheinwerfer eingeschaltet gelassen. Die Kamera hing um ihren Hals. Sie hob sie an, richtete sie auf ihn und bannte seinen Anblick auf den Datenstick, gerade als er sich mit der Hand durchs Haar fuhr. Dann kam sie zwei Schritte näher und machte noch ein Bild, auf dem der Wagen, der seit Jahren gesucht wurde, im Hintergrund erkennbar war.
»Eine Erektion ist eigentlich ein kompliziertes Zusammenspiel aus Hormonen, Nervenimpulsen und Muskeln, an dem sowohl physische als auch psychische Faktoren mitwirken«, fuhr der Psychiater fort. »Eine Krebsbehandlung mag zwar die Fähigkeit zu einer Erektion schwächen, aber nicht die Lust. Für einige Männer kann eine stärkere physische oder psychische sexuelle Stimulierung von Nutzen sein.«
»Haglund war Sadist«, fiel Wisting plötzlich ein und musste an die Pornomagazine denken, die sie bei ihm zu Hause gefunden hatten.
»Genau. Sexueller Sadismus beinhaltet, dass jemand Befriedigung darin findet, andere zu dominieren oder sie zu erniedrigen oder ihnen körperliche oder seelische Schmerzen zuzufügen. In dieser extremen Tat, eine Frau zu entführen und ihr all das anzutun, kann die ersehnte Befriedigung für ihn liegen.«
Wisting führte das Telefon ans andere Ohr. Für so ein Gespräch war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Frank Robbek lief mit der Brechstange in der Hand auf das Wohnhaus zu, doch andererseits wollte Wisting durchaus hören, was der Psychiater zu sagen hatte.
»Sie glauben also immer noch, dass Haglund Cecilia Linde entführt hat?«
»Ich bin nur umso überzeugter«, antwortete der Psychiater. »Ein chirurgischer Eingriff an der Prostatadrüse könnte auch erklären, wieso keine Samenspuren an ihr gefunden wurden. Der Schließmuskel an der Blase könnte durch den Eingriff zerstört worden sein. Er hätte dann einen sogenannten trockenen Orgasmus gehabt. Die Samenflüssigkeit landet in solchen Fällen in der Blase und kommt mit Urin vermischt beim Wasserlassen wieder heraus.«
Auf der anderen Seite des Hofes war Frank Robbek dabei, die Eingangstür aufzubrechen.
»Da gibt es allerdings noch etwas, das mich beunruhigt«, fuhr der pensionierte Oberarzt fort. »Ich habe da wirklich ein ungutes Gefühl.«
»Ja?«, sagte Wisting.
»Mehr so ein Gedanke, der mich nicht mehr loslässt.«
»Ja?«, wiederholte Wisting. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln.
»Das betrifft dieses Mädchen mit der gelben Schleife. Linnea Kaupang. Ich glaube, dass er sie entführt hat. Dass er sie irgendwo versteckt hält.«
Wisting schluckte und rannte über den Hof. »Danke für Ihren Anruf«, sagte er. »Ich melde mich wieder.«
Das Holz an der Eingangstür knirschte. Frank Robbek fluchte und trat mit aller Kraft dagegen.
»Der Keller!«, rief Wisting und deutete auf die andere Seite des Hauses. »Wenn sie hier ist, dann im Keller!«
Robbek ließ die Brechstange sinken und trat mit schnellen Schritten auf den Kellereingang zu.
Schwarze verrottete Blätter klebten an der Tür. Die dichten Büsche gleich neben der schräg stehenden Bodenluke wiesen zerbrochene Zweige auf und waren hinuntergedrückt worden. Ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Luke neulich erst geöffnet und die in der Mitte geteilte Holztür nach beiden Seiten aufgeklappt worden war.
Frank Robbek setzte die Brechstange unterhalb des mit einem Vorhängeschloss versehenen Riegels an.
Wistings Telefon begann wieder zu klingeln. Diesmal war es sein Vater. Wisting überlegte kurz, den Anruf zu ignorieren, antwortete aber schließlich doch.
»Ich bin hier gerade sehr beschäftigt«, warnte er.
»Ich habe den Rest des Films gesehen«, sagte sein Vater ungewöhnlich knapp. »Am Ende taucht da im Keller ein Mann auf. Der, den ihr damals festgenommen habt. Rudolf Haglund.«
Wisting hörte zwar, was sein Vater sagte, konnte aber kaum realisieren, was das eigentlich bedeutete. Für ihn, für den Fall und für diesen Albtraum, in den er
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