Jagdhunde (German Edition)
Dass sie den richtigen Mann gefasst hatten. Es war nicht nur der DNA-Beweis. Haglund passte zu der Beschreibung, die der Zeuge auf dem Traktor sowie Cecilia mittels der Tonbandaufnahme abgegeben hatten. Außerdem gab es da noch die Sache mit seinem Wagen, der passenderweise verschwunden war. Zudem war seine Aussage, er habe sich auf einer Angeltour befunden, widerlegt worden. Sein Alibi war demnach wertlos. Alle waren sich sicher gewesen. Erfahrung und gesunder Menschenverstand hatten gesagt, dass Rudolf Haglund der richtige Mann war, aber gleichzeitig war ihnen bewusst gewesen, dass die Indizien nicht ausreichten, um ihn über alle berechtigten Zweifel hinaus verurteilen zu lassen. Die Frage war also, ob irgendeiner der Fahnder sich bemüßigt gefühlt hatte, die Beweislast zu Haglunds Ungunsten zu verschieben, indem er den Beweisgegenstand A-3 mit einer der Zigaretten ausgetauscht hatte, die Rudolf Haglund in dem vor ihm auf dem Tisch stehenden Aschenbecher ausgedrückt hatte.
Wisting ließ das Geländer los und stellte sich mit dem Rücken zur Stadt, die sich unter ihm ausbreitete. Er kam zu der Erkenntnis, dass es nicht nötig war, sich selbst zum Narren zu halten. Es musste genau so geschehen sein, wie es auf der Titelseite der Zeitung dargestellt wurde. Irgendjemand bei der Polizei hatte den entscheidenden Beweis eingeschmuggelt.
Wisting kniff die Augen zusammen, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und merkte, dass der Regen ihn durchnässt hatte. Mit geschlossenen Augen blieb er stehen, fast so, als hätte er Angst, seine Gedanken zu sammeln.
Wenn der eigentliche Tragbalken der Beweiskette wegfiel, ergaben sich plötzlich ganz andere Möglichkeiten. Damals hatte der DNA-Beweis alle anderen Türen verschlossen. Der Fokus hatte sich von einer ergebnisoffenen Fahndung auf eine Sache und einen Mann verschoben. Die Ermittlung war von einer breit angelegten Untersuchung zu einer eingeschränkten Verfolgung einer einzigen Person geworden. Die Zeit bis zum Prozess hatte man verwendet, um nach Umständen zu suchen, welche die Anklage stützen konnten. Die Fahnder hatten Kontaktanzeigen gefunden, die Haglund in einem pornografischen Magazin aufgegeben hatte, waren mit einem ehemaligen Sportlehrer in Kontakt gekommen, der Haglund einmal in der Dusche beim Beobachten der Mädchen erwischt hatte, und waren auf ungelöste Fälle von Exhibitionismus gestoßen, bei denen die Personenbeschreibung auf ihn zutraf. Nichts hingegen war mit den Fakten getan worden, die für die Unschuld des Verdächtigen sprachen, wie beispielsweise die Tatsache, dass er keinen Keller unter seinem Haus hatte, so wie Cecilia es beschrieben hatte, oder dass in seinem Haus nicht ein einziges Haar des Opfers gefunden wurde, das er angeblich ums Leben gebracht haben sollte.
Es war Wistings Entscheidung gewesen. Seine Verantwortung. Wenn er versuchen sollte, den Fall von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten, war der Suspendierungsbeschluss eine Entscheidung, die sich förmlich aufzwang. Mittels der neuen Analyse hatte der Verteidiger ein Indiz vorgelegt, aus dem hervorging, dass der DNA-Beweis mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Polizei manipuliert worden war. Der verantwortliche Fahndungsleiter musste demnach aus seiner Position entfernt werden, um das letzte bisschen Glaubwürdigkeit nicht auch noch aufs Spiel zu setzen. Hier ging es um das Vertrauen in die Polizei.
Und er hatte die Absicht, sich dieses Vertrauens würdig zu zeigen.
Auf dem Weg nach unten hinterließen seine Schritte feuchte Abdrücke auf den Stufen. Wisting schloss sein Büro wieder auf und zog den Pappkarton mit den kopierten Dokumenten über den Cecilia-Fall unter dem Schreibtisch hervor. Wenn er sein Büro nicht benutzen durfte, dann musste er eben von zu Hause aus an diesem Fall arbeiten.
Er trug den Karton in den Korridor hinaus und stieß die Tür zum Treppenhaus mit der Schulter auf. Als er sich umdrehte, stand Audun Vetti vor ihm, den Blick auf den Pappkarton gerichtet. Er nickte und schien zufrieden, dass Wisting seine Sachen gepackt hatte und auf dem Weg nach draußen war.
Der stellvertretende Polizeichef trat an die Seite, um ihn vorbeigehen zu lassen, doch Wisting blieb in der Türöffnung stehen.
Es gab etwas, was er schon lange sagen wollte, ja, damals schon, vor siebzehn Jahren, und was er bisher jedoch für sich behalten hatte. Jetzt aber ließ er es einfach raus.
»Wir haben sie getötet«, sagte er.
Audun Vetti neigte den Kopf leicht zur Seite und
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