Jagdhunde (German Edition)
gesehen oder gehört haben sollte. Schließlich durften die Anwesenden Fragen stellen.
Eine Journalistin wollte wissen, wie es denn sein könne, dass eine VG- Reporterin die Identität des Mordopfers noch vor der Polizei herausgefunden hatte.
Der Polizeijurist ergriff wieder das Wort. »Ich weiß nicht, über welche Quellen VG verfügt, aber grundsätzlich möchte ich den Medien abraten, den polizeilichen Ermittlungen im Wege zu stehen.«
Der ungeschickte Versuch des Polizeijuristen, das Missgeschick zu beschönigen, löste heiteres Gelächter aus.
Line konzentrierte sich auf ihren Computer. Sie öffnete eine E-Mail von dem Mädchen an der Tankstelle und klickte auf einen der Anhänge.
Es war ein Standbild aus der Videoüberwachung der Tankstelle und zeigte das Mordopfer vor dem Tresen stehend. Ein farbiges Bild mit scharfen Konturen. Der Mann hatte leicht angegrautes blondes Haar, das fein säuberlich gescheitelt und an den Seiten ein wenig eitel nach vorn gekämmt war, um seine ausgeprägten Geheimratsecken zu verbergen. Er war sorgfältig angezogen, hatte kleine, dicht zusammenstehende Augen und einen sehr konzentrierten Blick.
Es folgten weitere Fragen, die Einzelheiten und Bestätigungen dessen umfassten, was bereits gesagt worden war. Alle wussten, dass man sich die wirklich guten Fragen bis nach der Pressekonferenz aufsparen musste. Nur ein paar Unerfahrene waren so ungeschickt zu verraten, was sie bereits wussten, stellten diesbezügliche Fragen und versorgten die anderen mit kostenlosen Zusatzinformationen.
Der nächste Anhang war ein Bild, das den Mann zusammen mit seinem Hund zeigte, der draußen an einem Pfahl angebunden war. Der Hund saß zu Füßen des Mannes und blickte zu ihm auf, während dieser sich eine Zigarette aus dem Tabak in dem gelben Päckchen drehte.
Einer der Journalisten erwähnte, dass der Mord kurz vor zehn Uhr gemeldet und dass Line kurz vor Mitternacht überfallen worden war. »Heißt das, dass sich der Täter über zwei Stunden in der Wohnung aufgehalten hat?«
»Das sind alles nur Spekulationen«, erwiderte der Polizeijurist.
Ein weiteres Handzeichen erfolgte. »Wurde irgendetwas gestohlen?«
»Das können wir noch nicht sagen.«
»Wissen Sie, wonach er möglicherweise gesucht hat?«
Klare Antwort: »Nein.«
Line öffnete ein drittes Standfoto. Der Mann hatte die Zigarette im Mundwinkel. Der Hund war aufgestanden.
»Noch weitere Fragen?«, wollte der Dienststellenleiter wissen.
Line hob die Hand und ergriff sofort das Wort. »Was passiert mit seinem Hund?«
Der Dienststellenleiter sah den Fahndungsleiter an. »Der ist vorläufig in der Falck- Station für streunende Hunde untergebracht«, sagte er und stand auf.
Die Pressekonferenz war vorüber.
22
Suspendiert. Das Wort erzeugte in Wisting eine innere Unruhe, die er noch nie zuvor verspürt hatte. Leere, formlose Gedanken jagten durch seinen Kopf. Mit dem Beschluss in der Hand saß er da und starrte in den Raum. Es war so, als wolle sich sein Gehirn etwas Zeit kaufen, bevor es herausfand, wie es reagieren sollte.
Das fremde Gefühl der Unsicherheit breitete sich in ihm aus wie ein dunkler Schatten des Missmuts. Er hatte das Gefühl, als müsste er ersticken. Ihm wurde übel und schwindelig und er war unfähig zu verstehen, was geschehen war oder wie er damit umgehen sollte.
Schließlich stand er auf. Er packte nichts ein, schaltete nur das Licht aus und schloss die Bürotür hinter sich ab. Im Treppenhaus lief er nicht nach unten, sondern nach oben. Er folgte den Stufen zwei Etagen hinauf und betrat die Terrasse im dritten Stock.
Vor Jahren war es noch erlaubt gewesen, in den Büros der Fahnder oder unten in den Arrestzellen zu rauchen, aber sie waren immer hier hinaufgegangen, wenn Rudolf Haglund eine Vernehmungspause einlegen wollte.
In der einen Ecke standen zwei Stühle und ein Tisch mit einem übervollen Aschenbecher. Rudolf Haglund hatte mit dem Rücken zur Wand auf einem der Stühle gesessen. Wisting hatte an der Brüstung gestanden, für den Fall, dass der Gefangene versuchen sollte, den einfachsten Weg aus der Situation zu wählen.
Wisting trat an das Geländer und hielt sich krampfhaft daran fest. Der Nieselregen hing schwer in der Luft und klärte die Gedanken.
Wistings Knöchel wurden weiß, während er zu verstehen versuchte, was damals geschehen war und wieso. Als die DNA-Ergebnisse gekommen waren, hatten sie wie eine Bestätigung dessen gewirkt, was sie alle ohnehin schon zu wissen glaubten.
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