Jagdhunde (German Edition)
Die Farbe blätterte von den Hauswänden ab und der Vorbau an der Haupttür hatte sich an einer Stelle abgesenkt. Auf der anderen Seite des Hofes standen zwei halb verfallene Schuppen.
Dazwischen konnte Line die Konturen eines alten Autos erahnen, das von Unkraut beinahe überwuchert war und somit keinesfalls die frischen Reifenspuren auf dem Weg verursacht haben konnte.
Etwas weiter entfernt stand eine verwitterte und eingesunkene Scheune. Ein grasbewachsener Hügel zog sich zu dem schwarzen Fluss hinunter. In Ufernähe konnte Line ein Gebäude im fahlen Mondlicht erkennen. Es war eine niedrige Hütte mit Grasdach und hohem, schmalem Kamin.
Line verharrte reglos. Der Ort wirkte völlig verlassen, aber der Strom war noch angeschlossen und die Reifenspuren verrieten, dass jemand hier gewesen war. Line versuchte, sie im matten Licht zu untersuchen. Sie waren vom Wetter teilweise verwischt und es war schwer zu sagen, wann sie entstanden waren. Wahrscheinlich vor einem oder vielleicht zwei Tagen.
Sie ging hinüber zum Haupthaus, stieg die gemauerten Stufen hinauf und rüttelte an der Tür. Sie war verschlossen. Neben der Tür war ein Fenster mit einer gesprungenen Scheibe, aber drinnen war es zu dunkel, als dass Line etwas hätte erkennen können. Sie zog ihr Handy hervor. Das eingebaute Blitzlicht der Handykamera konnte auch als Taschenlampe verwendet werden. Sie schaltete es ein und hielt das Telefon an die Scheibe. Der Lichtschein drang nicht weiter als zwei Meter in das Hausinnere. An der Wand hingen zwei Bilder. Auf dem Dielenboden lag ein Flickenteppich, darauf stand ein Paar Holzschuhe. Das war alles.
Line stieg wieder die Stufen hinunter und kämpfte sich durch das lange Gras bis zum nächsten Fenster vor. Dort hingen weiße Gardinen mit einem gehäkelten Saum. Line benutzte wieder das Handy und legte die Stirn an die Scheibe. Es war eine altmodische Küche. Ein Emailleherd mit drei Platten, eine tiefe Doppelspüle, eine Arbeitsplatte und an der Wand hängende Küchenschränke. Dicht am Fenster stand ein Küchentisch mit grauer Tischplatte und gemusterter Tischdecke, auf der eine Vase thronte.
Sie ließ das Handy sinken, hielt aber plötzlich inne und legte es erneut an die Fensterscheibe. Ein kalter Schauer lief Line über den Rücken.
In der Vase waren Blumen.
Ein Strauß roter Rosen. Ein einzelnes Blatt war abgefallen und lag auf dem Tisch, ansonsten wirkten die Blumen völlig frisch.
Line schaltete das Licht aus, blieb aber stehen. Sie hatte Angst, Geräusche zu verursachen. Langsam drehte sie sich um und blickte über den Hof. Der Wind ließ die dunklen Bäume am Waldrand knirschen und schwanken. Das weiße Mondlicht warf Schatten, die sich bewegten. Plötzlich vernahm sie noch einen anderen Laut. Irgendetwas kratzte über einen Gegenstand. Line konzentrierte sich, um zu hören, woher das Geräusch kam. Es war ganz in ihrer Nähe und hörte sich an, als käme es aus dem Hausinnern. Sie trat zwei Schritte vor. Das Geräusch verschwand, kam aber beim nächsten Windstoß wieder, und Line begriff, dass es ein paar Äste waren, die über die Dachziegel schabten.
Sie hatte sich im Dunkeln nie gefürchtet und wusste, dass die Angst irrational war, fühlte sie jetzt jedoch wie eine kalte Hand auf der Schulter. Das Haus hinter ihr hatte mindestens siebzehn Jahre leer gestanden, und dennoch war es nicht lange her, dass jemand hier gewesen war.
Line ging zurück auf den Weg und wollte gerade einen Blick über die Schulter werfen, als sie ein Licht sah, das sich zwischen den Bäumen bewegte. Die Scheinwerfer eines Autos. Es kam langsam den Weg herunter und Line hörte das leise Summen des Motors.
Line zog sich zurück und verschwand zwischen den Bäumen. Der Wagen fuhr an ihr vorbei. Ein Mann saß hinter dem Lenkrad. Das Scheinwerferlicht hatte sie geblendet, sodass sie nur seine Konturen erkennen konnte.
Der Wagen hielt vor dem Wohnhaus. Der Hof wurde in helles Licht getaucht, was den Verfall nur umso deutlicher machte.
Der Fahrer blieb sitzen und ließ den Motor laufen.
Line machte sich klein, überquerte den Weg und schlüpfte zwischen die Bäume auf der anderen Seite, wo sie einen besseren Ausblick hatte. Sie nahm die Kamera und schoss ein paar Fotos von dem Wagen und der Umgebung. Dann zoomte sie näher heran und fotografierte das Nummernschild. Der Mann saß noch immer hinter dem Lenkrad. Line konnte nur Teile seines Hinterkopfs erkennen.
Fünf Minuten lang hockte er einfach so da, dann setzte er
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