Jagdhunde (German Edition)
den Wagen in Bewegung, rollte zu den beiden Schuppen hinüber und schaltete das Fernlicht ein. Das Autowrack wies die klassische Form eines Saabs auf. Der matte rote Lack war von Rostflecken übersät und die Gummireifen sahen verrottet aus. Nach zwei Minuten leuchteten die Rückfahrlichter des anderen Autos auf. Der Fahrer wendete und manövrierte den Wagen zurück auf den Weg, über den er gekommen war.
Line duckte sich hinter einen moosbewachsenen Steinblock und spürte, wie ihr die Feuchtigkeit in die Kleider drang. Als sie den Wagen vorbeifahren hörte, hob sie den Kopf und schoss ein Foto von dem Fahrer.
Es war ein Mann im Alter ihres Vaters. Er trug eine Brille und hatte dunkles Haar, das an den Seiten grau war.
Irgendetwas kam Line bekannt an ihm vor.
Aber wer immer es auch gewesen sein mochte, so hatte er sich doch seltsam verhalten.
47
Wisting las noch einmal den Bericht der rechtspsychiatrischen Untersuchung und kam zu einem Abschnitt über Rudolf Haglunds Gesundheitszustand.
Der Observant gab an, sich guter Gesundheit zu erfreuen. Er sei nie wegen ernsthafter Krankheiten behandelt worden und habe sich weder in Norwegen noch im Ausland jemals in einem Krankenhaus befunden. In der Familie gebe es keine erblich bedingten Krankheiten und er nehme keinerlei Medikamente.
Das war alles.
Wisting suchte wieder das Foto von der Untersuchung im Krankenhaus heraus und schaute auf die Narbe, die von der Entfernung eines Muttermals herrührte. Der Untersuchungsbericht der Psychiater war in jeder Hinsicht gründlich ausgeführt, doch eine Erkrankung an Hautkrebs war nicht vermerkt. Grundsätzlich musste dies gar nichts zu bedeuten haben. Eine derartige Operation konnte vielleicht ambulant durchgeführt worden sein, womöglich hatte es sich um ein gutartiges Hautgeschwür gehandelt, aber dennoch war es seltsam, dass dieser Umstand mit keiner Silbe in dem ansonsten umfassenden Bericht erwähnt wurde.
Wisting zog sein Handy hervor und rief den pensionierten Oberarzt an.
»Wissen Sie, ob Rudolf Haglund irgendwann mal wegen Hautkrebs operiert wurde?«, fragte er.
Der Mann am anderen Ende der Leitung schien einen trockenen Mund zu haben und schmatzte. »Wieso fragen Sie mich das?«
»Ich habe noch einmal gelesen, was Sie damals geschrieben haben«, erklärte Wisting. »Darin steht, dass er niemals wegen ernsthafter Krankheiten behandelt worden sei oder sich im Krankenhaus befunden habe. Wir haben allerdings ein paar Bilder von ihm, auf denen drei kleine Narben zu sehen sind. Er hat erklärt, dass es sich dabei um Operationsnarben handele, die von der Entfernung einiger Muttermale stammen.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass das mal ein Thema war«, erwiderte der Psychiater. »Aber Informationen über den somatischen Zustand basieren in der Regel auf dem, was der Observant selbst berichtet. Trotzdem seltsam, dass er das nicht erwähnt hat. Sein Vater hatte doch Krebs. Seine Krankheit wurde zu einem Wendepunkt in Haglunds Leben. Wir haben damals viel darüber geredet, aber er hat nie erwähnt, dass er selbst von der Krankheit betroffen war.«
»Ist das nicht merkwürdig?«
»Ja, das finde ich auch. Aber da wir gerade davon sprechen: Haglund war ein typischer Risikoträger für bösartige Hautveränderungen. Ich weiß noch, dass er sehr helle Haut hatte, außerdem ist so etwas erblich.«
Wisting besah sich die anderen Fotos. Neben dem Bild von der Narbe an der Innenseite des Oberschenkels gab es ein weiteres, das eine Narbe unterhalb des Schulterblatts und eine andere im Nacken zeigte.
»Ist das denn irgendwie wichtig?«, fragte der Psychiater.
Wisting hörte Schritte auf der Terrasse und legte die Fotos weg. »Wahrscheinlich nicht«, gab er zurück und ging zur Tür. »Ich fand es nur seltsam, dass er solche Informationen verschwiegen hat, wenn er andererseits ganz offen über seine sadomasochistischen Vorlieben sprach. So etwas könnte ja vielleicht auch in der Profilbeschreibung eines solchen Täters eine Rolle spielen.«
Die Tür ging auf. Line kam herein und schloss sie hinter sich ab. Sie streifte ihre Stiefel ab, die voller eingetrocknetem Matsch waren.
»Das hat er aber erst eingestanden, nachdem ihm das pornografische Material vorgelegt wurde, das Sie bei ihm gefunden hatten«, sagte der pensionierte Oberarzt.
Wisting begrüßte Line mit einem lautlosen Hallo, während er dem Arzt zuhörte.
»Sie dürfen nicht vergessen, dass Rudolf Haglund ein vielschichtiger Mensch ist. Es ist nicht einfach
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