Jagdopfer
meine?« Joe hielt das Namensschild hoch. »Selbst wenn einem klar ist, was passiert, kann man manchmal einfach nicht schnell genug reagieren, weil man irgendwie stutzt, dass es überhaupt passiert.«
Etbauer schluckte und versuchte, seine Autorität zurückzugewinnen. Aber seine Stimme war schwach. »Geben Sie mir mein Schild zurück.«
Joe ließ es über den Schreibtisch schlittern. »Sie haben gedacht, ich würd Ihnen einen Schlag ins Gesicht verpassen, oder? Und trotzdem konnten Sie nichts dagegen tun. Sehen Sie - das ist mir mit Ote passiert. Ich hab Mist gebaut, aber ich hab einfach nicht damit gerechnet. Genau wie Sie.«
Etbauers Gesicht war jetzt knallrot. Er sah Joe kein einziges Mal mehr in die Augen. Als er sagte, er habe den
Bericht und das zugehörige Beweismaterial sorgfältig geprüft und entschieden, er werde zum nächsten Dienstag, dem 30. September, ohne Bezahlung offiziell vom Dienst suspendiert, erklärte er das alles der Wand ganz rechts hinter Joe.
Und dann fügte Etbauer hinzu, es habe einige sehr beunruhigende Meldungen gegeben. Ernst zu nehmende Behauptungen.
»Wir haben vor zu ermitteln, ob Sie nicht durch die Untersuchung von Morden, die bereits aufgeklärt sind, Ihre Amtspflichten erheblich vernachlässigt haben. Und es besteht der Verdacht, dass Sie Beweismaterial zerstört haben, das den Angeschuldigten mit dem Verbrechen hätte verbinden können.«
Joe fragte, wer das berichtet habe, und Etbauer belehrte ihn, das dürfe er nicht sagen. Joe spürte, wie ihm ein Kälteschauer über den Rücken lief.
Etbauer fuhr fort. »Hiermit teile ich Ihnen mit, dass wir aufgrund Ihres Verhaltens in den letzten Wochen untersuchen werden, ob Sie als Verdächtiger für die Verbrechen infrage kommen. Ist Ihnen der Ernst der Lage klar?«
Joe nickte. Natürlich begriff er die Situation, aber er hatte Mühe, etwas zu sagen.
»Ich - ein Verdächtiger?«, krächzte er schließlich.
»Sie - ein Verdächtiger«, bestätigte Etbauer kalt lächelnd. »Wir hoffen, dass Ihre Unschuld rasch erwiesen sein wird. Denn sonst - das sag ich Ihnen offen - würde die ganze Behörde in schlechtes Licht gerückt, und das wollen wir nicht.«
Joe seufzte. Etbauer war ohne Zweifel ein bösartiger, kleinlicher Bürokrat, der Gelegenheiten wie dieser geradezu entgegenfieberte.
»Unsere Geschäftsordnung sieht vor, dass Sie auf der nächsten Versammlung der Jagd- und Fischerei-Kommission, die Ende Oktober stattfindet, Widerspruch gegen Ihre Suspendierung einlegen können. Der Widerspruch ist schriftlich an den Leiter der Behörde zu richten. Sie haben drei Tage Zeit, um einen Bericht über den Stand der Dinge in Ihrem Revier anzufertigen. Dann werden Ihre Aufgaben vorläufig an den Jagdaufseher eines angrenzenden Bezirks übergeben, der am Montag ernannt wird.«
Joes Mund war so trocken, dass er nicht mal schlucken konnte.
»Sie können gehen«, sagte Etbauer. »Ich kann im Augenblick nicht mehr sagen.«
Joe stand auf. Er wusste, dass ihn das, was er gerade gehört hatte, erst später mit aller Wucht treffen würde. Im Augenblick war er nur wütend und zugleich merkwürdig ruhig.
»Geben Sie den Bezirk Saddlestring wenigstens Wacey Hedeman. Er kennt ihn ziemlich gut und arbeitet schnell.«
»Wir werden das berücksichtigen.« Etbauer befingerte das Namensschild, das Joe ihm abgezupft hatte. »Sie können gehen.«
An der Tür drehte Joe sich nochmal um.
»Haben Sie das schon mal gemacht? Einen Jagdaufseher suspendiert, der zum ersten Mal so ein Dienstvergehen begangen hat?«
Etbauer wurde wieder knallrot und sah weg. Joe folgte seinem Blick zur Digitaluhr auf dem Aktenschrank. Es war 4:58.
»Steckt jemand hinter dem, was Sie da tun?«, fragte Joe.
»Natürlich nicht.« Etbauer schaute noch immer auf die Uhr.
»Hat niemand angerufen und gesagt: ›Les, sei so gut und grab die Sache mit Picketts Dienstwaffe wieder aus‹?«
Etbauer fuhr auf seinem Bürostuhl herum. »Natürlich nicht.« Er war jetzt in der Defensive. »Das Gespräch ist beendet.«
Joe öffnete die Tür. Die Frau vom Empfang, die draußen gehorcht hatte, schreckte hoch und floh den Korridor hinunter. Ihre Absätze klapperten wie eine alte Schreibmaschine.
»Das war kein Gespräch«, sagte Joe zu Etbauer. »Lynchjustiz vielleicht, aber kein Gespräch.«
Er warf die Tür so heftig hinter sich zu, dass er im Flur nochmal anhielt, um sich zu vergewissern, dass das Glas keinen Sprung bekommen hatte.
Joe fand ein leeres Büro, das nicht
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