Jagdrevier: Thriller
Hause anrufen. Schließlich wusste er nicht, was los war, und wollte Jakes Frau nicht unnötig beunruhigen. Nach der einen Unterhaltung, die er vor einiger Zeit mit ihr geführt hatte, war er nicht auf eine zweite erpicht.
Einen Moment lang blieb Mick im Truck sitzen und sah sich um. Er wusste, dass die Leute, denen das Camp gehörte, so unverzichtbare Dinge wie eine Satellitenschüssel hatten haben wollen – aber kein Telefon. Im Clubhaus war es dunkel, aber die Flutlichter draußen brannten. Auch in Jacks Wohnwagen war Licht und die Tür stand weit offen.
Verdutzt stieg Mick aus dem Truck und befahl Beau, dort zu bleiben.
»Jake?«, rief er.
»Jake?«, rief er noch etwas lauter.
Langsam ging er zum Wohnwagen. »Jake? Bist du da? Hallo? Ist da jemand?«
Mick betrat den Airstream. Drinnen lagen Jakes Jagdklamotten. Die beiden Betten sahen so aus, als hätte jemand darin geschlafen. Eigentlich wirkte alles ganz normal ... abgesehen von der Tür, die sperrangelweit offen stand. Mick ging zum Clubhaus. Hinten auf dem Truck winselte Beau; er wollte raus.
»Bleib!«, befahl Mick.
Hinter der Veranda mit den Fliegengittern stand die Clubhaustür weit offen. Mick steckte den Kopf hindurch und sah sich um.
»Hallo? Jemand da?« Zögernd trat er ein. Er ging am Billardtisch vorbei. Nichts Auffälliges zu entdecken. Zwar herrschte im Clubhaus ein ziemliches Chaos, aber in einem Jagdcamp räumte nie jemand auf. Hier sah es immer so aus. Er trat wieder ins Freie.
Seltsam.
Nachdenklich tätschelte er Beaus Kopf.
Er stieg wieder in den Wagen, wendete und sah sich noch einmal um. Irgendetwas gefiel ihm nicht, aber er wusste nicht, was es war. »Ach, zum Teufel damit«, sagte er. »Ich bin viel zu müde für diesen Quatsch.« Er wollte nach Hause und schlafen.
Als er dort ankam, saß seine Frau mit einem Glas Milch und warmem Rosinenbrot aus der mennonitischen Bäckerei in Livingston am Küchentisch. Sie grinste genüsslich und ein wenig verlegen und schuldbewusst.
»Ich konnte nicht mehr schlafen«, sagte sie. »Was war denn los?«
»Keine Ahnung. Alle Lichter brannten, aber es war keiner da. Irgendwie seltsam. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass etwas passiert ist. Aber ... aber ich weiß nicht, was«, antwortete er.
»Was hast du eigentlich überall auf der Hose?« Seine Frau zeigte auf die Stellen. Micks Jeanshosenbeine waren unten herum dunkel und nass.
Er berührte die Flecken, rieb die Finger aneinander. »Das ist Blut!« Er wurde blass. Langsam bekam er es mit der Angst zu tun.
»O mein Gott, Mick!«
»Ich rufe den Sheriff an.« Besorgt griff er nach dem Telefon.
Neun
»Sumter County Sheriff, Büro«, sagte eine raue, von Zigarettenrauch zerriebene Frauenstimme.
»Mick Johnson hier. Ich muss mit Sheriff Landrum sprechen. Es ist wichtig.«
»Mick. Er ist nicht hier ... Es ist halb zwei morgens. Aber wenn es wichtig ist, bitte ich ihn, Sie zurückzurufen. Sind Sie zu Hause?« Sie blies Rauch in die Luft.
»Ja, Ma’am. Es ist wichtig.«
»Ich sage ihm, er soll Sie sofort anrufen. Oder brauchen Sie einen Deputy?« Sie drückte die Zigarette aus.
»Nur falls Ollie nicht erreichbar ist.«
»Okay, Mick. Augenblick. Ich glaube, ich kriege ihn für Sie an die Strippe.«
Mrs Martha O’Brien arbeitete bereits seit dreiundzwanzig Jahren im Büro des Sheriffs. Seit ihr Mann vor vier Jahren gestorben war, übernahm sie am liebsten die Nachtschicht. Schlafen konnte sie sowieso nicht, und den Sheriff zu wecken, bereitete ihr ein unsägliches Vergnügen. Sie liebte es, ihn auf die Palme zu bringen, und zögerte nie ihn wegen jeder noch so nichtigen Kleinigkeit zur Unzeit anzurufen. Den Sheriff machte das fast wahnsinnig, aber Martha O’Brien war unersetzlich. Sie wusste, wo alles war, wo jeder wohnte und wann welche Formulare auszufüllen waren. Dass der Sheriff und seine Leute sie ständig um Rat fragten, genoss sie sehr. Zu regionalem Ruhm war sie gelangt, seit sie einen Verhafteten geohrfeigt hatte, der eineunanständige Bemerkung über sie gemacht hatte. Der Gouverneur hatte ihre Tat mit Freuden für rechtens erklärt. Mit typischer Südstaatenhöflichkeit nannte fast jeder sie »Miz Martha«.
Ollie Landrum war der erste schwarze Sheriff im Sumter County und gehörte nach neun Jahren im Amt quasi zum Inventar. Er war eine der großen Footballhoffnungen der University of Alabama gewesen, hatte sich aber bei einem Heimspiel so schwer am Knie verletzt, dass an eine Profikarriere nicht mehr zu denken
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