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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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Seite des Steges war, wie zum Spott, ein moderner Schuppen errichtet worden, in dem sich ein Müllcontainer an den anderen reihte. Die Sammelstelle. Links der Restmüll, rechts kompostierbare Abfälle, darüber ein Schild: »Bitte um sorgfältige Trennung!« Ordnung musste sein in W., Restmüll zu Restmüll, Kompost zu Kompost und Leiche zu Leiche, so war der Lauf der Welt.
    Zwischen zwei prächtigen Buchsbäumen lag Karl H. Mimmer,
Schriftsteller. Die reiche Verzierung des Grabsteins und diverse brennende Kerzen ließen auf postmortale Anerkennung des Verstorbenen als semiprominenten Dorfdichter schließen. Ob er auch irgendwann einen Pakt geschlossen hatte so wie ich mit mir? Ob er das Schreiben als Berufung gesehen hatte? Ich warf einen Blick auf den Goldring an meinem Finger. Er trug die Initialen W.S. Ich dachte an Shakespeare, mein großes Idol und daran, wie schwer es mir fiel, mich in die Rolle der Schriftstellerin zu finden. Jeden Tag schreiben, und wenn es nur ein Satz ist. Liebevoll strich ich über die Goldgravur. War es nicht das, was ich wollte? Was ich sollte? Doch ich bin weit davon entfernt. Als fehlte dieser innere Drang, das tiefste, geheimste Etwas im Bauch, das aus jeder alltäglichen Kleinigkeit ein fantasievolles Königreich entstehen lassen konnte. Mimmer, der Dorfdichter, wüsste bestimmt, was ich meinte, er würde mich verstehen.
    Ich passierte die Gräber von Hans Jungmüller, Oberförster i. R., Pepi Fritzenthaler, Bäckermeister, Johann Kappelmüller, Bauer zu Oberbrandstein, und Marianne Schmid, Ziehtochter Unterwald, und blieb schließlich vor einem prachtvollen Marmorstein stehen, dessen goldene Inschrift ich dreimal lesen musste, so faszinierte sie mich.
    Ruhestätte des Franz Berger, Gend. Inspektor, welcher am 4. Juli 1962 in Ausübung seiner Berufspflicht durch Verbrecherhand fiel, dessen Gattin Anna Berger, Julius Berger, Gemeindesekretär i. R., Ing. Rudolf Berger, Forstverwalter i. R.
    Verbrecherhand, überlegte ich, das wäre doch vielleicht eine Geschichte. Hektisch suchte ich in meiner Handtasche nach einem Notizzettel. Ich könnte einen Krimi schreiben, in dem jemand hinterrücks ermordet wird, womöglich …

    »Wie es scheint, ein gefährliches Pflaster«, sagte eine Stimme hinter mir, woraufhin ich vor Schreck die Tasche fallen ließ. Wütend drehte ich mich um und blickte in die gleichen wachen, blaugrauen Augen, denen ich meinen gestrigen schmählichen Abgang aus der Wirtsstube zu verdanken hatte. Der gleiche wissende Ausdruck darin, eine Art von höflicher Überlegenheit, wie sie ein Fremdenführer gegenüber Touristen an den Tag legt. Ich war noch nie gerne Tourist gewesen, deshalb verlief ich mich in fremden Städten auch ständig, da das öffentliche Stadtplanstudium oder, noch schlimmer, das Fragen nach dem Weg nicht mit meiner strikten Einheimischentarnung kompatibel war.
    »Sie schon wieder, Herr Wieauchimmer, keine Ahnung, warum Sie es sich in den Kopf gesetzt haben, mich …«
    »Alt.«
    »Wie bitte? Ich habe noch gar nicht richtig begonnen.«
    »Nicht Halt, Alt.«
    »Das ist ja wirklich der Gipfel. Erst nennen Sie mich fett, jetzt finden Sie mich alt, für wen halten Sie sich eigentlich?«
    Er lächelte breit, was mich vor Wut erstarren ließ.
    »Sie, Sie, Sie …«, begann ich, nach Worten suchend.
    »Adrian Alt. Das ist mein Name. Hört sich etwas besser an als Wieauchimmer«, antwortete er, während er eilig meine Tasche vom Boden aufhob, »finden Sie nicht, Frau …?«
    »Sie dürfen mich Gehtsieeinenfeuchtendreckan nennen. Apropos feuchter Dreck«, sagte ich, riss ihm meine Tasche aus der Hand und reinigte sie notdürftig von der schlimmsten Bescherung, »ist das Ihr spezielles Hobby, sich an andere Leute heranzupirschen, um sie zu Tode zu erschrecken?«
    »Bitte, entschuldigen Sie. Das war nicht meine Absicht. Genau
genommen habe ich Sie erst sehr spät gesehen. Ich war auf der anderen Seite der Kirche beschäftigt, habe mich dann aber an dieses spezielle Grab hier erinnert, das ich unbedingt für meine Aufzeichnungen brauche.«
    Er deutete erst auf Franz Berger, Gendarmerie-Inspektor, dann auf den Zeichenblock in seiner Hand. Er trug dieselben Cowboystiefel wie am Vorabend, dieselbe Jeans und zum Pullover ein graues Sakko, nur der Hut schien ein anderer zu sein, ein besonders ausgeleiertes Exemplar aus schwarzem Cord. Du meine Güte, seit wann trug man wieder Cord? Noch nie sehr talentiert darin, das Alter anderer Leute zu schätzen, gab ich ihm, Pi mal

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