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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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schriftliche Quellen, alle ziemlich veraltet, Artikel aus lokalen Zeitungen, Einträge in Registern und Lexika, topografische oder demografische Angaben, Artikel über Blumenschmuckwettbewerbe, Schützenvereinsgründungen, Maibaumaufstellungen, Bürgermeisterwahlen und ähnliche Dinge. Sie enthielten nur wenige Anhaltspunkte. Der entsprechende Wikipedia-Artikel war lächerlich kurz und schien immer wieder bearbeitet worden zu sein. Sonst hatte die Internetsuche nur Fehlermeldungen ergeben, ihn zu nicht mehr existenten Domains und gelöschten Foreneinträgen geführt. Das roch übel nach Zensur!
    Er war insgesamt nur auf zwei Quellen gestoßen, die sein Interesse weckten, Spuren, denen er nachzugehen gedachte. Ein kurzer Bericht über den tragischen Tod eines Dorfgendarmen sowie eine vergriffene Biografie des alten Mimmer.
    Zu Karl H. Mimmer, seines Zeichens Dorfdichter und einzige prominente Persönlichkeit von W., gab es äußerst widersprüchliche biografische Angaben. Und Widerspruch war fast immer der Beginn einer Fährte, das wusste der erfahrene Detektiv.

    Adrian Alt sah auf. Therese, die Wirtin, stand vor ihm, in einer Hand einen kleinen Tetrapack Vollmilch, in der anderen ein Glas. Sie starrte ungeniert auf das Notizbuch, in dem er während seiner Überlegungen aus alter Gewohnheit gezeichnet hatte. Die Bleistiftlinien formten ein schmales, faltiges Gesicht mit dunklen, undurchschaubaren Knopfaugen unter wuchernden Brauen und einem kleinen, herzförmigen Mund. Umrahmt war es von kurzen, struppigen Haarsträhnen. Ein recht gutes Gedächtnisporträt vom Unterberger. Therese presste ihre ohnehin schmalen Lippen fest zusammen, als sie Tetrapack sowie Glas etwas zu unwirsch vor ihm auf den Tisch knallte.
    »Sonst noch Wünsche?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Gut.«
    Sie zögerte.
    »Es gibt solche und solche Leute, Herr Alt. Mit den einen lässt man sich ein, mit den anderen besser nicht.«
    Bevor sie sich abwendete und zu ihrem Tresen zurückkehrte, warf sie einen unverhohlenen Blick auf die Zeichnung. Er lächelte grimmig. Das Porträt war tatsächlich gut getroffen. Die tief in ihren Höhlen lauernden Augen erinnerten an mit schwarzer Kohle gefüllte Kamine, in denen eine heftige Glut schlummerte. Ein Scheit altes, trockenes Brennholz genügte völlig, um das Feuer wieder in Gang zu bringen. Das, oder die richtige Frage zur richtigen Zeit. In jedem Fall war man gut beraten, in Deckung zu gehen, wenn man dem Dorfexzentriker einen unerwarteten Besuch abstattete, das hatte er an seinem ersten Tag in W. am eigenen Leib erfahren dürfen …

    »Sie wollen also etwas über Mimmer wissen?«
    Der Unterberger grinste breit und machte eine einladende Handbewegung. Den Finger der anderen Hand hatte er immer noch fest um den Abzug einer ansehnlichen Pistole gekrümmt, die John Wayne alle Ehre gemacht hätte.
    Adrian Alt atmete tief durch und trat durch die nicht sehr einladende Eingangstür.
    Er war bald nach seiner Ankunft in W. und nach einem wenig erfolgreichen Besuch im hiesigen Mimmer-Museum auf direktem Weg zu dem Haus am Ortsrand gegangen, wo jener Mann lebte, der in der falschen Mimmer-Biografie als unerschöpfliche Quelle von Mimmer-Material bezeichnet wurde.
    Falsch war die Biografie einer unter dem Pseudonym »Lady Grey« schreibenden Engländerin natürlich nur insofern, als die Dorfbürokraten, die den Nachlass des angesehenen Dichters verwalteten, die darin vertretenen Forschungsergebnisse als abenteuerliche Lügengeschichten bezeichneten, basierend auf Ammenmärchen aus dem Munde eines Eigenbrötlers, der in seiner Heimatgemeinde einen erdenklich schlechten Ruf genießt.
    Das hatte Adrian Alt der »Richtigstellung« in einem Lokalblatt entnommen, das nach Erscheinen der Biografie in riesigen Lettern von der »Verunglimpfung einer Legende« geschrieben hatte und den Namen des Bürgermeisters als Verfasser nannte.
    Unter großem Aufwand war es Adrian gelungen, über eBay an ein Exemplar des vergriffenen (oder vom Markt genommenen?) Buches zu gelangen. Es war weit weniger interessant, als der Wirbel vermuten ließ, schlecht geschrieben, voll von Übertreibungen und Superlativen. Aber immerhin fand sich darin die Behauptung, dass in Mimmers letztem großem Werk, der Ortschronik von W., ein entscheidendes Fragment fehlte. Ein
Kapitel, in dem es um das gut gehütete Geheimnis des kleinen Bergdorfes ging, das, ans Licht gebracht, die Entwicklung der Menschheit für immer verändern könnte , wie Lady Grey

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