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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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wortwörtlich schrieb. Von der richtigen Person entdeckt, könnte dieses Geheimnis eine neue Weltordnung herstellen.
    Dieser Teil hatte Adrian aufhorchen lassen. Das Geheimnis konnte der Schlüssel zu Sarahs Tod sein! Der Zweck seines Auftrages!
    Im Mimmer-Museum gab es freilich nur die offizielle Version der Ortschronik, der Dichter selbst war schon lange unter der Erde, und so hatte Adrian beschlossen, den Mann zu befragen, der Mimmers rechte Hand beim Verfassen der Chronik gewesen war, eben jenen Unterberger. Es musste einfach eine Verbindung geben. Diese zu finden war Adrian hier. Und er tat gut daran, sie bald zu finden, denn man hatte ihn bereits ins Visier genommen.
    Schon von außen hatte das Haus des Unterbergers einen Hauch von Exzentrik ausgestrahlt, um es freundlich auszudrücken. Halb verfallen, die Farbe unidentifizierbar, blass und verwaschen auf der bröckelnden Fassade, dafür eine Unmenge Kletterpflanzen, die selbst die Fenster komplett überwucherten. Der Garten, der das Haus umgab, war eine einzige Wildnis, die man wohl nur im Ganzkörper-Insektenschutzanzug durchqueren konnte, hätte man irgendwelche Ambitionen in diese Richtung. Dschungelcamp für Arme! Umso erstaunlicher war daher die Ansammlung liebevoll gepflegter Gartenzwerge, bestimmt dreißig, vierzig Stück, wenn man die Plastikrehe, Plastikhasen und Plastikbären dazuzählte, die die Treppe zur Eingangstür säumten. Blitzsauber glänzten sie wie neu oder zumindest wie frisch poliert im trüben Vormittagslicht, sodass
Adrian den Impuls unterdrücken musste, vor ihrer schweigenden Wächterschaft den Hut zu ziehen.
    Die Tür wiederum passte optisch weit besser zum Zustand des Hauses. Ungepflegtes, vom Bergwetter gegerbtes Holz, in dem wohl längst die Holzwürmer nisteten. Nur widerwillig hatte Adrian, da er keine Glocke vorfand, an dieses vermoderte Relikt geklopft. Erst nach einer halben Ewigkeit, bestimmt zwei, drei Minuten, hatte ihm der Ruinenbewohner in John-Wayne-Manier geöffnet, was ein längerer Prozess war, da die Uralttür durch mindestens fünf Sicherheitsschlösser geschützt wurde. Dabei bräuchte man als Einbrecher wohl nur wie der Wolf im Märchen dreimal kräftig zu pusten, dachte Adrian bei sich.
     
    »Ja, tatsächlich«, sagte Adrian über die Schulter, als er durch die Tür trat, »ich interessiere mich für alles, was mit Mimmer zu tun hat. Man sagt, Sie hätten ihn gut gekannt. Ist das wahr?«
    Beklemmend. Das war das einzige Wort, das Adrian als Beschreibung für den Innenraum einfallen wollte, den er nun zögernd betrat. Ein düsterer, leerer Korridor, in dem der Staub von Jahrzehnten die Luft verdickte, führte geradeaus in ein Wohnzimmer, das ursprünglich wohl ein großer Raum gewesen sein mochte, nun aber, durch die Ansammlung von Gegenständen, schrecklich überladen war. Vollgestopft, könnte man sagen. Kaputte Möbel, Nippes, Stapel von Holzkisten, leere Flaschen, zum Großteil verstaubt, deren süßlicher Geruch Obstfliegen anlockte, ein ansehnliches Sortiment an Schusswaffen und noch mehr Plastiktiere. Einsamer Gewinner des Absurditätencontests war ein Plastikwolf, der an einem Plastikbaumstumpf das Bein hob.

    Die Blümchentapete an den Wänden war längst verblasst und teilweise abgeblättert, in den Ecken des Raumes hatten sich Schimmel und Spinnweben eingenistet, von der Decke hing ein verstaubter, altmodischer Glaslüster, und den Boden bedeckte ein fleckiger, mausgrauer Teppich.
    Am schlimmsten aber war der Geruch. Adrian konnte ihn nicht identifizieren, er merkte nur, dass sich die Gänsehaut auf seinen Armen bei jedem Atemzug verstärkte. Es roch wie …
    »Wollen Sie meine Sammlung sehen?«, fragte der Unterberger, nachdem er die Pistole gesichert und zu den anderen Waffen gelegt hatte. Ob die alle geladen waren?
    »Sammeln Sie denn noch etwas anderes als Gartenzwerge?«
    Der Unterberger lachte. Es war ein leises, tiefes, erdiges Geräusch. Nicht unangenehm.
    »Wissen Sie, Herr …«
    »Alt.«
    »Herr Alt !«
    Er betonte den Namen deutlicher als nötig.
    »Meine Sicherheit ist gewährleistet, solange man mich im Dorf für einen Spinner hält. So ein Image muss gepflegt werden. Ein verfallenes Haus, ein verwilderter Garten, eine Galerie säuberlich gepflegter Plastikfiguren, das dient alles dem schönen Schein. Der kluge Mimmer hat mir viel darüber beigebracht, was Schein ausmacht und wie man ihn erzeugt. Schon Rousseau hat gesagt: ›Es ist leicht, durch Schein zu täuschen‹. Und da hat der

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