Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
Vom Netzwerk:
klingt mit einem Mal hart, schneidend und keineswegs mehr beschwipst. Aus Ekel wird Angst. Ich weiche zurück.
    »Der Räuberfänger lief den Riesenrücken hinauf, die Jäger dicht hinter ihm. Zu viel wusste er, zu viel trug er bei sich. So kam der Mord zuerst ins Dorf. Da gingen die Redner zu den Sitzungsstühlen, ehrenwerte Männer hielten Rat, wer Schuld hat an der Misere. Ein Kopf rollte und ging verloren. Weißt du, was das bedeutet?«
    Ich schüttle den Kopf und versuche, dem Kauz mit meinen Blicken zu folgen, was zu einem leichten Schwindelgefühl führt, da das Tier mich immer schneller umkreist. So kam der Mord ins Dorf. Damit muss der Gendarm gemeint sein, dessen Grab mich am Friedhof so stark inspiriert hat. Ein Kopf rollte , damit kann eigentlich nur ein einziger Kopf gemeint sein. Ist das die Geschichte? Muss ich diese Teile zusammenfügen? Warum gelingt es mir nicht? Die Quelle ist meine einzige Chance!
    Sibby schreit laut und kehlig.
    »Weißt du zu ritzen?«
    »Wie bitte?«

    »Weißt du zu erraten?«
    »Erraten? Was soll ich erraten?« Ich würde das Federvieh am liebsten rupfen! Die Dinge sind eindeutig außer Kontrolle!
    »Weißt du zu finden? Weißt du zu erforschen?«
    »Nun, offensichtlich nicht, sonst würde ich ja nicht einen geistig labilen Waldkauz um Rat fragen. Wo soll ich denn zu forschen beginnen? Herrgott, bei mir dreht sich schon alles. Könntest du nicht irgendwo Platz nehmen?«
    »Weißt du zu bitten?«
    »Also schön, wenn du darauf Wert legst: Bitte, bitte, bitte hilf mir weiter, ich …«
    »Weißt du Opfer zu bieten?«
    »Nichts, das wehtut, das sag ich dir gleich!«
    »Weißt du, wie man senden, wie man tilgen soll?«
    »Kann es sein, dass mich hier jemand verarscht?«
    Sibby flattert stumm auf ihren Ast zurück und mustert mich von da aus streng. Ich atme tief durch. Der Anfall scheint vorüber.
    »Nichts weißt du, Menschenfrau. Such weiter! Viele Wege liegen vor dir. Du musst raten, du musst finden, forschen und vor allem bitten lernen. Was ist dein Beruf, Jackenträgerin?«
    »Ich …« Immer noch stutze ich bei der Beantwortung dieser so einfachen Frage, als stünde jemand hinter mir und zöge Grimassen. »Ich bin Schriftstellerin.«
    »Ah, ein Dichterlein auf der Suche nach der großen Inspiration.«
    »Ja, genau! Doch wie finde ich da hin? Eine Quelle, sagt man …«
    »Die Quelle der, huhu, hu«, der Kauz gähnt, »der Dichtkunst.«

    Ich bin mit einem Mal hellwach, was man von meinem gefiederten Gegenüber leider nicht behaupten kann.
    »Quelle der Dichtkunst? War es das, was Mimmer gefunden hat? Das Ziel seiner Wünsche?«
    Es wäre das Ziel meiner Wünsche, so viel steht fest.
    »Aber der Weg, Sibby, ich muss den Weg wissen!«
    »Du musst … musst finden … finden …«
    Der Kauz schließt demonstrativ beide Augen. »Grandios. Irgendein Tipp, wo ich anfangen soll?«
    Sibby hebt das linke Lid ein kleines Stück, gähnt und sagt mit einem Schnabelklackern: »Der, hick, Trank köchelt in der Waldhütte, die Schicksalsstäbe sind geworfen, was sein soll, steht fest. Öffne die Tür, in der Tiefe liegt die Wahrheit. Doch wenn der Graubart heult, dann gib acht. Neun Nächte … acht … Schritte. Frag nicht nach dem, nach dem … nach dem … Schuu… hu.«
    »Nach was ? Nach was soll ich nicht fragen? Sibby?« Verdammt! Der Waldkauz schläft. Ich hätte gleich an mein Lebensmotto denken sollen: Traue niemandem, der Federn trägt! Was für eine Zeitverschwendung! Da trifft man einmal im Leben einen sprechenden Kauz, und dann redet der nichts als Unsinn.
    Habe ich es nicht sofort gesagt?
    Ich schicke ein paar böse Gedanken in den Gehirnteil, wo Motzmarie logiert, doch bestimmt nimmt sie gerade ein Schaumbad und hat mir zu Ehren schalldichte Ohropax eingestöpselt.
    Und jetzt?
    Erschöpft setze ich mich auf den Waldboden, ausnahmsweise ohne auf Schmutz oder Getier zu achten. Ich vergrabe den
Kopf in den Händen und weine ein paar Verzweiflungstränen, in der Hoffnung, auf diese Weise Flüssigkeit hygienisch aus meinem Körper hinauszubekommen. Ich bin immer noch mutterseelenallein in dem Wald, ohne Aussicht auf Besserung dieses Zustandes. Mir wurde ein Quell der Dichtung angepriesen, der mein ganzes Leben verändern könnte, doch wie die glitzernde Wasserfläche in der Sahara scheint auch das nur eine ewige Fata Morgana zu sein. Ich hasse mein Leben! Wie toll das wäre, wenn man sich aus Situationen wie diesen herausschreiben könnte, wenn die Magie des Erschaffens

Weitere Kostenlose Bücher