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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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Einfluss auf das eigene Leben hätte. Doch wenn es einem nicht einmal gelingt, die Geschichten anderer auf die Reihe zu kriegen, kann man genauso gut in einem Minigrab mit Diddlmausengeln darüber liegen. Welchen Sinn hat das alles?
    Genau in diesem Moment piepst es laut und deutlich hinter mir. Mein Herz steht sekundenlang still. Ich kenne das Geräusch!

7 Auszug aus dem Romanfragment »W.« von Olivia Kenning nach einer wahren Geschichte
    Erstes Kapitel: Das Kind
    Man wird nicht jeden Tag zwei Jahre alt. Das weiß das Kind, auch wenn es sonst noch nicht allzu viel weiß. Zum Beispiel, warum Mami sooft schreit, wenn sie allein mit Papi ist, oder warum Papi dann nur stumm seinen Hut aufsetzt, seine Jacke anzieht und grußlos das Haus verlässt. Papi redet nicht viel. Mit Mami nicht und mit ihm auch nicht. Er sieht es oft aus so traurigen Augen an, dass es selbst in Tränen ausbricht, was Mami erschöpft stöhnen lässt. Erst in der weichen, warmen Umarmung, die folgt, kann das Kind die Kälte abschütteln, die es durch und durch gepackt hat.
    Geburtstag aber ist gut. Mami strahlt, und sogar Papi lächelt ein bisschen. Die Onkel und Tanten sind alle da, sogar die fremde Tante von Außerhalb. Das Kind weiß nicht so recht, was das ist. Außerhalb, das ist ein neues Wort in seinem Schatzkästchen. Außerhalb riecht gut, ganz anders als Mami oder Omi oder die Frauen der Onkel. Außerhalb sieht auch gut aus, viel bunter, glitzernder, mit sonderbar hellen, steifen Haaren. Am besten aber gefallen dem Kind die roten Schuhe von Außerhalb, hohe, schimmernde Schuhe, in denen schöne, seidige Tantenfüße stecken. Als sich die Tante schließlich zu ihm beugt, es auf den Arm nimmt und ihm als Geschenk ein wunderbar glitzerndes Etwas um den Hals legt, da weiß das Kind, dass Außerhalb
ganz in der Nähe vom Paradies liegen muss, von dem Mami ihm vorm Schlafengehen oft erzählt.
    Noch etwas ist Geburtstag, nämlich Kuchen. Normalerweise darf das Kind nicht viel Süßes essen, Süßes ist ungesund. Und obwohl es nicht ganz genau weiß, was ungesund bedeutet, hat das Kind eine Ahnung, dass ungesund etwas ist, das Mami zum Weinen und Papi zum Würgen bringt, wenn er abends lange weg war. Heute aber hat es einen ganzen, großen Kuchen bekommen. Es hat die Kerzen auspusten dürfen, die in der Mitte angebracht waren und die Schokolade ganz weich gemacht haben. Da hat es den Finger in die Schokoladenmasse getunkt und ihn in den Mund gesteckt. Mami hat geschimpft, aber die Tante von Außerhalb hat laut gelacht, ein Geräusch, das dem Kind zwar in den Ohren gedröhnt hat, aber nicht unangenehm war. Ein Geräusch, wie Feen es machen würden. Ein seltenes Geräusch. Ein Warm-im-Bauch-Geräusch.
    Jetzt ist es still im Wohnzimmer. Die meisten Gäste sind gegangen, aber Mami, Papi und einige Onkel sitzen am Esstisch. Auch die Tante von Außerhalb ist noch da. Sie redet viel, anders als Papi, aber sie redet leise, damit sie das Kind nicht weckt. Doch das Kind ist wach, es war zu aufgeregt, um zu schlafen. Es ist aus dem Kinderbettchen gekrochen, denn es hat schon vor einiger Zeit gelernt, wie man das macht. Ein paar Stufen, kein Problem, und die Küchentür war offen, was für ein Glück.
    Unentschlossen steht das Kind vor dem Küchenregal. Es weiß instinktiv, dass es hier nicht sein sollte, aber die Entschiedenheit, mit der Mami es jedes Mal aus der Küche hinausgeschoben hat, hat dem Raum eine Aura verliehen, der es nicht widerstehen kann. Da oben, im vorletzten Fach steht es, das DING.

    DAS DING ist auch so eine Sache, von der das Kind nicht viel weiß. Aber es muss etwas ganz Besonderes sein, denn Abend für Abend, nachdem das Kind gefüttert wurde und bevor es zu Bett gebracht wird, holt Papi DAS DING vom Regal und stellt es auf den Küchentisch. Mami nimmt das Kind dann immer ganz schnell auf den Arm und trägt es in sein Zimmer. Sie liest ihm noch eine Geschichte vor und macht dann das Licht aus, alles bis auf das Nachtlicht mit dem lachenden Mond, das die Dunkelheit nicht ganz so schwarz erscheinen lässt. Doch die Geschichten interessieren das Kind nicht. Nicht einmal der weiche, weiße Lieblingsteddy mit der grünen Schleife, der neben ihm auf dem Kopfkissen liegt, interessiert es sonderlich. Es ist DAS DING, das es interessiert.
    Vorsichtig einerseits, um keinen Lärm zu machen, andererseits, um nichts falsch zu machen, schiebt das Kind den Küchenstuhl vor das Regal. Das kann es, obwohl es das noch niemandem gezeigt hat. Das ist

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