Jagdzeit
Er wusste nicht, was der Einsatz war, aber offensichtlich ging es um viel. Geld? Seelen?
Daneben am Fenster der Pfarrer, ein kugelrunder, glatzköpfiger Mensch, der den ganzen Abend Speisen in seinen dicklippigen Mund stopfte und mit leidender Miene dem Organisten zuhörte, der mit seiner Nickelbrille und seinen langen historischen Abhandlungen so etwas wie der Ortsintellektuelle war. Beide waren nicht viel älter als vierzig. Mit am Tisch saß der Briefträger, ein sportlicher Enddreißiger, der wie ein Schlot selbst gedrehte Zigaretten rauchte und sich bemühte, am Gespräch beteiligt zu werden. Alle nannten ihn nur David Bowie, weil er jedem, der es hören wollte, von seinem legendären Treffen mit David Bowie bei einem Konzert in der Landeshauptstadt erzählte. Durch einen Freund bei der Security war er zur Backstage-Party gekommen und hatte sich mit Bowie einen Joint geteilt. Bei der Erinnerung daran musste er sich jedes Mal eine heimliche Glücksträne von der Wange wischen. Meistens wurde er gekonnt ignoriert, solange niemandem der Tabak ausging.
An der Bartheke schließlich saßen die Handwerker und der Dorfgendarm, alle zwischen fünfzig und sechzig, trinkfest und eher schweigsam.
Die Stimmung im Saal war wie elektrisch aufgeladen. Er hatte das Gefühl, dass ein kleiner Funke ausreichen würde, um alles explodieren zu lassen. Etwas lag in der Luft, und er hatte so eine Ahnung, dass, was immer es war, die Explosion nicht mehr lange auf sich warten ließe. Gewitter waren in W. selten, aber heftig, eine Urgewalt, die es locker mit den Bergen rundum
aufnehmen konnte. Schon blitzte es hier und da, der Donner grollte aus allen Himmelsrichtungen …
Da! Endlich tat sich etwas. Sepp, diese Wirtshaussphinx, setzte sich zu der Fremden, der das offensichtlich gar nicht recht war, auch wenn sie ihn, den gnädigen Quartiergeber, nicht sofort abweisen mochte. Gnade ihm selbst, wenn er die Frechheit besessen hätte, eine ähnliche Annäherung zu starten. Er könnte von Glück reden, ohne ausgekratzte Augen davonzukommen!
Sepp sagte etwas und lächelte dabei. Was er ihr wohl erzählte? Ihr gerader Rücken verkrampfte sich deutlich. Wohl die alten Gruselgeschichten, die waren Sepps Spezialität. Er begann sie immer auf die gleiche Weise: Er beugte sich über den Tisch, der sich als einziger Schutz zwischen ihm und seinem Gesprächspartner befand, stützte einen Arm auf, ein Ausdruck absoluter Autorität, und sprach mit leiser, fast nicht zu verstehender Stimme.
4 Weißt du zu finden?
»O lieber, guter Mobilfunkgott, ich danke dir!«
Drei Balken, es ist ein Wunder! Nicht nur, dass mein Handy beim Aufprall am Baum unvermutet heil geblieben ist, nein, es hat sich gerade auch noch in die Welt der uneingeschränkten Netzabdeckung zurückgepiepst! Halleluja, ich werde aus dieser elenden Wildnis befreit werden. Schon bald könnte ich im nächstgelegenen Fünf-Sterne-Wellnesshotel einchecken, mich erst in einen Whirlpool mit Massagedüsen, dann mindestens eine halbe Stunde in eine für mich allein reservierte Sauna (Saunen kommen für mich prinzipiell nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit infrage!) inklusive Eukalyptusaufguss und zum Abschluss, nach Konsum eines sechsgängigen Spitzenmenüs, in ein Kingsize-Federbett begeben. Perfekt!
Könnte ich. Nachdenklich betrachte ich den schlafenden Waldkauz, der immer noch auf seinem Ast sitzt. Wenn ich diesen Wald und gleich darauf dieses Dorf verlasse, ohne eine Geschichte und ohne eine entsprechende Inspiration, dann bin ich meinen Verlagsvertrag los. Ich hänge praktisch festgezurrt unter der Guillotine, die Deadline als Fallbeil über mir. Doch wenn das alles hier der große Dorfgag ist und ich, die blöde Fremde, gerade zur Erheiterung aller in die Falle getappt bin, dann hocke ich erst recht in der Scheiße. Macht es Sinn, einer Chimäre nachzulaufen, wenn ich stattdessen mein Leben retten
kann? Denn allein im Wald nach einer fragwürdigen und nur eventuell existenten Hütte zu suchen heißt auch, womöglich von wilden Tieren oder noch wilderen schießwütigen Wilden gemeuchelt zu werden!
Korrekt, meine Liebe! Also nimm gefälligst das Handy, das, Geschenk des Himmels, heil geblieben ist, und wähle Eins-Drei-Drei, ehe die Sauna wegen Überfüllung geschlossen wird und die Töpfe leer gefressen sind.
Ich zögere. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Bewohner von W. sich geschlossen gegen mich verschworen und die Hüttenstory nur erfunden haben. Es gibt zu
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