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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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viele Verbindungen, das kann nicht alles Zufall sein. Ich vermute eher, dass Mimmer die Quelle gefunden hat, dadurch die Wahrheit erkannt und die Geheimnisse des Dorfes durchschaut und publiziert hat. Die Chronik, natürlich!
    Statt den Notruf zu wählen, tippe ich die Nummer der Auskunft in mein Handy. Ich brauche eine Verbindung zum Mimmer-Museum, ich muss wissen, welchen Bezug Mimmer zum Wald hat.
    Bist du übergeschnappt? Hol uns gefälligst hier raus! Es kommt nicht infrage, weiter durch die Wildnis zu stapfen auf der Suche nach irgend so einem Hirngespinst eines vertrottelten, alten …
    Das ist der Moment, in dem sich der Himmel höchstpersönlich einschaltet und mir die Entscheidung abnimmt. Kaum habe ich das Freizeichen erhalten, lasse ich das Handy vor Schreck fallen. Ein elektrischer Schlag hätte mir beinahe das Ohr versengt. Wütend greife ich nach dem am Boden liegenden Gerät, aus dem eine weibliche Stimme höflich: »Bitte warten, Sie werden verbunden!« flötet, hebe es auf und halte mitten in der Bewegung inne. Mit einem widerlichen Summton
stürzt das Display ab, die Verbindung wird unterbrochen und zurück bleibt: nichts. Ein schwarzes Bildschirmloch, das direkt in den Technikabgrund führt. Deus ex machina. Der Gott aus der Maschine. Der Elektronikschrott, das Statussymbol unseres zivilisierten Technologiezeitalters, ist hinüber. Jetzt gibt es nur noch die NATUR und mich.
    Ich kapituliere. Die Wildnis hat mich wieder, und wenn mich nicht alles täuscht (tut es nicht, he, he, he!), fletscht sie die Zähne! Ich lächle kampflustig. Von nun an gibt es nur ein Ziel, und das liegt tief im Wald versteckt.
     
    »Heiahaaaaaaaaa!«
    Kurz darauf. Es muss um die Mittagszeit sein, vielleicht auch etwas später, mir ist irgendwann zwischen dem Augenaufschlagen und der endgültigen Handykalypse mein Zeitgefühl abhandengekommen. Dafür besitze ich nun etwas anderes, Brauchbares, das ich fasziniert und ungläubig betrachte: einen Schuh ohne Absatz!
    Nach mehreren Beinahe-Knöchelbrüchen, verursacht durch das an sinnlosen Stellen angebrachte Wurzelwerk, durch sichtbehinderndes Unkraut sowie ekelhafte Krabbeltiere, die Ausweichmanöver notwendig machten, sind wir uns begegnet, der kantige Baumstumpf und die Großstadtfrau. Daraufhin fasste ich einen epochalen Entschluss. Es ist das Ende einer glücklichen Beziehung, so viel steht fest, womöglich das Ende eines ganzen Lebensabschnitts: Ich bin so weit, ich bin reif für - ach herrje! - flache Schuhe!
    Also nahm ich Abschied, und wie das bei uns Frauen oft so ist, tat ich das mithilfe roher Gewalt. Ich trennte mich inmitten eines wilden Waldes hinter den was weiß ich wie vielen Bergen
von meinen geliebten roten Zweihundertneununddreißig-Euro-Schlussverkaufspreis-Pumps, indem ich heulend den rechten Schuh wie eine Axt hoch über meinen Kopf schwang und mit voller Wucht, Absatz voran, auf die Baumstumpfkante hämmerte. Einmal, zweimal, dreimal, dann war der Stöckel ab. Ich ließ einen Urschrei los, riss die Arme hoch und machte e inen Luftsprung.
    »Heiahaaaaaaaaa!«
    Fatal. Der schuhlose Fuß landet nämlich auf einer nachgiebigen Masse, die mit einem ekligen Geräusch zerplatzt. Ich wage nicht, nachzusehen, um was es sich dabei handelt. Stattdessen betrachte ich fasziniert den nunmehr flachen Pumpsrest in meiner Hand, beschließe, dass es ohnehin schon egal ist, und verfahre mit dem linken Absatz genauso, mit dem Erfolg, dass sich endlich wildnistaugliches Schuhwerk an meinen Füßen befindet. Hüttenlady, Dichterinspirationsquelle, ich komme!
    Geschätzte vierzig Minuten später sehe ich der traurigen Wahrheit ernüchtert ins Triefauge. Zwar kann ich mich nun relativ ungehindert fortbewegen, doch eben das tue ich nicht , denn offensichtlich gehe ich IM KREIS. Der Baumstumpf, über den ich beinahe stolpere, trägt die Spuren eines schweren Kampfes, die traurigen abgehackten roten Absätze daneben sind Beweis meiner vernichtenden Niederlage. Dabei habe ich darauf geachtet, mir einen fixen Punkt in der Ferne auszusuchen und geradeaus darauf zuzugehen.
    Verdaaaaaaammmmmmmt!
    Verzweifelt hocke ich mich auf den Baumstumpf, vergrabe das Gesicht in den Händen und gebe mir keine große Mühe, die Frusttränen zurückzuhalten. Hormoneller Supergau! Selbst die sonst so eloquente Motzmarie schluchzt hemmungslos mit
mir im Chor. Keine Hütte, keine Inspiration, kein Weg, kein gar nichts!
    So ist das also, wenn man an einem Endpunkt angekommen ist. Meine Beine

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