Jagdzeit
Sie sagen wollten.«
Er schob den scheußlichen Schlapphut etwas zurück, sodass ich seine Augen sehen konnte, die mich erschreckten, so gehetzt blickten sie drein.
»Sie haben die Jagd eröffnet.«
»Falls Ihnen das entgangen sein sollte, ich bin im Besitz zweier funktionierender Hörorgane. Aber Ihnen würde vielleicht etwas Schlaf guttun. Oder ein Ortswechsel.«
Er lächelte müde.
»Sie wollen mich nicht verstehen, oder?«
»Dieses Gespräch ist beendet.«
Ich schwang mich vom Zaun, knickte prompt mit dem Knöchel um und machte mich auf den unvermeidlichen Sturz gefasst. So was passierte mir immer. Es war, als ob mich ein winziger, bitterböser Unglücksteufel verfolgte, der schadenfroh überall unsichtbare Seile spannte, Stolpersteine platzierte oder Bodenwellen aus dem Nichts wachsen ließ. Es war zum …
Eine Hand packte mich fest am Oberarm, eine zweite stützte mich an der Hüfte. Er hatte sich so schnell bewegt, dass ich dem Vorgang nicht hatte folgen können.
»Alles in Ordnung?«
Mehr als alles hasste ich es, wenn mir meine eigene Ungeschicklichkeit so demonstrativ unter die Nase gerieben wurde. Konnten sich die Leute nicht einfach um ihren eigenen Kram kümmern, statt einen zu fragen, ob es einem gut ging, wenn man gerade eben auf der klassischen Bananenschale ausgerutscht war?
Genau genommen war das der Moment, in dem mir klar wurde, dass mich diesmal das PMS voll erwischt hatte. Was die Situation jedoch keineswegs entschärfte.
Wütend schlug ich seine Hand weg, die immer noch auf meiner Hüfte lag, genau da, wo der Speckrand sich über der
Hose wölbte, also etwa da, wo man als molligere Frau nie, nie, nie angefasst werden will. Er ließ sofort auch meinen Oberarm los, wo ein dumpfer Schmerz einen dekorativen blauen Fleck versprach. In einem Zeichentrickfilm würde nun zischend Rauch durch meine Nasenlöcher entweichen. Demonstrativ wischte ich seine bloße Berührung von meinem Körper wie etwas Übelriechendes.
»Entschuldigung. Ich dachte, Sie fallen. Ich wollte nicht … Egal, hören Sie, hier braut sich etwas zusammen. Es wäre besser, wenn Sie bis zum Abend weit weg wären, die Jagd …«
Ich hörte einfach nicht zu, drehte mich wortlos um und ging mit großen Schritten zum Wirtshaus zurück, vorbei an einigen Nachzüglern unter den Dorfbewohnern, vorbei an der Kirche, vorbei am Friedhof, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Ich wusste, mein höchstpersönlicher kupferner Kochtopf war ganz knapp vorm Überkochen. Ein Wort mehr von ihm, eine Geste, eine (uääh!) Berührung, und ich würde ihm irgendeine schwere Körperverletzung zufügen, die, wie meine Freundin Julia, die Staatsanwältin, mir stets zu erklären pflegte, wohl absolut vorsätzlich wäre.
Seither saß ich in meinem hässlichen Wirtshauszimmer und versuchte, meine Erkenntnisse zu Papier zu bringen. Ich starrte frustriert auf den immer noch monoton blinkenden Cursor und seufzte. Das Monster. Das Monster.
Egal, wie tief ich in die Geschichte von W. eindrang, egal, wie viele Spuren ich verfolgte, die große Inspiration für meine Geschichte brachte es mir nicht. Ich sah den Gendarmen deutlich vor mir, fühlte den Blutverlust, hörte die Geräusche der Jäger hinter ihm, doch was genau sein Geheimnis war, das wollte mir nicht einfallen. Ich blieb außen vor, schürfte nur an der
Oberfläche. Mit seinen Augen zu sehen, das gelang mir nicht. Wie hatte Shakespeare gesagt? Echtheit! »Ohne Mut geht gar nichts, Wahrheit ist ein großes Abenteuer!« Doch wohin führte mich meine Suche nach der Wahrheit? Hinter welchen verborgenen Türen lag die Wahrheit versteckt? Und was konnte einem alles zustoßen, wenn man sich entschloss, diese zu öffnen?
5 Weißt du zu bitten?
»Ha… ha… hallo, Gagnrad.«
Mit einem viel zu lauten Knall schlägt die Baumtür hinter mir zu und sperrt den letzten Rest des flackernden Lichtscheins aus der angrenzenden Hexenstube aus. Wenn es so etwas wie die schlimmstmögliche Wendung eines aus den Fugen geratenen Abenteuers gibt, dann hat sie in diesem Moment stattgefunden. Es war von Anfang an eine Fangfrage, denke ich, während meine Beine vor Entsetzen taub werden, eine Nachwirkung des Schocks.
Der fensterlose Raum, den ich entgegen der Warnungen von Frau Wurd betreten habe, ist nicht besonders groß. Er ist nicht beleuchtet, doch von weit oben dringt weißes, kaltes Mondlicht herein. Der Boden ist holprig und uneben, was bei näherer Betrachtung daran liegt, dass es kein Boden im herkömmlichen
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