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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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laufen mir die Wangen hinunter. Ist das also das Ende? Ist die verheißungsvolle Quelle ein FKK-Bereich? Textilfetischisten ausgeschlossen? Ist es mir nach allem, was ich in diesen vergangenen vierundzwanzig Stunden erlebt habe, beschieden, als Häufchen Elend in einem unterirdischen, gefliesten Badezimmer umzukommen?
    Kein Badezimmer , flüstert die neue, neunmalkluge Vernunftstimme, sondern ein Raum, wo Feuer auf Wasser trifft, heiß auf kalt. Weißt du, was daraus entsteht?
    Mir wird schon beim Gedanken daran übel.
    »Dampf!«, sage ich kaum hörbar. Etwas, das Sibby, der Waldkauz, zu mir gesagt hat, vor wie langer Zeit? Es kommt mir wie eine Milliarde Jahre vor: Ein hoher Baum, nass vom Nebel. Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt .
    Es ist früher Morgen. Panisch blicke ich nach oben. Kaum dass ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, lösen sich die ersten Tropfen vom Wurzelwerk und benetzen den glühend heißen Salzstein. Innerhalb weniger Sekunden ist der Raum mit dichtem Dampf gefüllt. Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit treiben mir den Schweiß aus allen Poren, mein Herz rast, während ich Probleme habe, Luft zu bekommen. Ich vertrage keinen Dampf. Mein ohnehin niedriger Blutdruck fällt ins Bodenlose, und ich muss tief durchatmen, um nicht sofort umzukippen. Alles dreht sich. Ich muss hier raus. Muss sofort hier raus!
    Keuchend konzentriere ich mich auf die Tür, die jener gegenüberliegt, durch die ich eingetreten bin. Sie führt aus dieser
Dampfhölle hinaus. Doch wohin? Wie soll ich denn ohne ein Stückchen Stoff an meinem Körper durch diese unterirdische Welt laufen? Was, wenn mich dabei jemand beobachtet?
    Da draußen wartet das Ziel deiner Wünsche, und du machst dir Gedanken über angemessene Kleidung?
    Langsam bekomme ich Sehnsucht nach der guten, alten Motzmarie. Der Schweiß rinnt in dicken Tropfen an meinen Armen herab, hängt in meinen Brauen, klatscht mir die Haare an den Kopf und kitzelt unangenehm auf meiner Kopfhaut. Ich richte mich auf und sehe dabei zu, wie die Flüssigkeit in Bächen an mir hinunterläuft. Dabei fällt mir auf, wie lange ich mich nicht mehr vollkommen unbekleidet betrachtet habe. Die kleine Wölbung meines Schokoladenbauches bremst die Tropfen ab. Ich fange sie in meiner hohlen Hand auf, reibe mich schließlich von oben bis unten ab und strecke mich, so hoch ich kann, zur Decke, um möglichst viel von der Flüssigkeit, die von den Wurzeln rinnt, einzufangen, ehe sie in der Hitze verdampft. Die Kühle des Taus tut gut, es ist wie eine kalte Dusche an einem tropischen Sommertag.
    Ich muss über mich selbst lachen. Wie unendlich befreiend sich das anfühlt, nichts mehr zu verdecken, zu verhüllen, sondern wie ein wildes Tier im Regen zu stehen und Hitze und Kälte zugleich auf der bloßen Haut zu spüren. Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich nichts mehr zu verlieren habe. Warum also bleiben? Warum nicht die Quelle suchen? Für einen kurzen, ewigen Moment habe ich das Gefühl, dass alles möglich ist. Lächelnd trete ich durch die Tür.
     
    Was war das? Ich sehe mich um. Hinter mir befindet sich nicht die hygienisch saubere, angelaufene Glastür des unterirdischen
Dampfbades, sondern ein leicht verwittertes Tor, das halb offen steht und den Blick auf einen unspektakulären, etwas staubigen Gang freigibt. Ich trage meine zerrissene Hose, die flachen Pumps und die rote Lederjacke wie zuvor, als hätte es dazwischen nichts gegeben. Doch ich spüre noch den tropfenden Schweiß und die Hitze in meinen Lungen. Das befreiende Gefühl des kühlen Taus auf der nackten Haut. Das war alles real!
    »Real!«, sage ich laut, um durch meine eigene Stimme die Leere des Augenblicks anzufüllen.
    Wo bin ich überhaupt?
    Ich erkenne einen von schwachem Licht erfüllten, hallenartigen Raum, der ein unterirdischer Ballsaal sein könnte, wenn auch ein primitiver, ohne Marmorverzierungen und Stuckdecke. Es riecht modrig nach der sandfarbenen Erde, die sowohl Bodenbelag als auch Tapete ist. Direkt vor mir befindet sich eine enorme Säule, die durch die ebenfalls sandfarbene Decke bricht und sich weiter tief ins Erdreich unter mir bohrt. Staunend trete ich näher. Es ist nicht einfach nur eine Säule, stelle ich fest, sondern ein dicker Holzstamm, der zusätzlich zu seiner Maserung über und über mit geschnitzten Zeichen bedeckt ist. Wie wundervoll! Doch besonders freudig hüpft mein Herz beim Anblick der Stufen, die sich neben der Säule befinden und sich als Teil einer

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