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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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Gefieder, scheint es, steht hier »Dead End« ganz deutlich in den Architekturplänen geschrieben! Mir gelingt es nur mit knapper Not, Hysterie und Magensäure runterzuschlucken.
    Willst du jetzt zum Grund oder nicht?

    Jaaaaaaaaa!
    Dann mach es möglich.
    Wie?
    Das weißt du.
    Verzweifelt lasse ich alles Revue passieren, was mir in den letzten vierundzwanzig Stunden zugestoßen ist. Was für ein mehraktiges Trauerspiel! Der einzige Anhaltspunkt, der mir einfällt, ist Mimmers Flaschenpost, die mich zuverlässig bis hierher geführt hat. Lässt sie mich nun im Stich?
    Die Quelle der Inspiration spürt auf, wer in die Tiefe blickt.
    Ja, das war Mimmers Formulierung. Und bisher bin ich ganz gut damit gefahren, den alten Sonderling wörtlich zu nehmen. Also lege ich mich flach auf den Bauch und robbe nach vorn zur Kante der Plattform, die Augen fest geschlossen, die Finger in den Rand gekrallt. Ich will das nicht sehen!
    Du kannst es.
    Nein. Nein. Nein.
    Schau in die Tiefe, und lass dich zum Grund führen.
    Hinter mir kratzt es bedrohlich am Tor. Der Wolf! Warum, lieber Gott, kann in meinem Leben nicht eine Scheiße nach der anderen passieren, hübsch der Reihe nach, wie in der Aristotelischen »Poetik«, der Theorie des Dramas? Warum komme ich mir andauernd vor wie Macbeth oder einer dieser geplagten Shakespeare-Helden? Wenn das Untier mich hier auf dieser schmalen Plattform findet, ist es aus mit mir. Gesunder Pessimismus ist angesagt! Was habe ich zu verlieren? Abrupt schlage ich die Augen auf. Ich will zum Grund dieses Brunnens, denke ich, während ich auf den kleinen, hellen Punkt starre, der der Boden sein muss. Dieser helle Punkt ist alles, was ich sehe, dem hellen Punkt gilt all meine Konzentration.

    Gut, weiter!
    Die Plattform setzt sich genau in der Sekunde in Bewegung, als ich das Quietschen der Torflügel höre. Doch der Wolf ist längst mein geringstes Problem. Mit enormer Geschwindigkeit stürzt die Plattform in die Tiefe. Ich schreie, so laut ich kann.

8 Der Wolf fällt!
    »Mit oder ohne Schlag?«
    Schwere Entscheidung. Therese stand vor mir, das unverbindliche Gastwirtinnenlächeln im Gesicht, und wartete auf meine Antwort. Sie war eine kleine, zarte, aber energische Person mit gesunden Apfelbäckchen, auf denen helle Sommersprossen ein interessantes Muster zeichneten. Ihre hellblonden Haare waren kurz geschnitten, wodurch sie aus der Entfernung fast wie ein Junge aussah. Aus der Nähe aber blickte sie einen aus unglaublich greisen, hellblauen Augen an. Wie alt sie wohl war? Schwer zu sagen, ich war immer schon schlecht im Schätzen gewesen.
    »Mit Schlag«, antwortete ich, plötzlich entschlossen, dass es darauf auch nicht mehr ankam. Wenn mein Blind Date schon wie vom Erdboden verschwunden war und mir wildfremde Schnüffler eine Diät ans Herz legten, dann sah ich eigentlich keinen Grund, diesen Ignoranten recht zu geben, indem ich auf einer Karotte herumkaute. No way!
    Also hatte ich, nachdem ich mit der Geschichte des Gendarmen nicht weiterkam, mein Wirtshauszimmer verlassen, um meinem hungrigen Körper Kohlehydrate zuzuführen. Ich hatte nämlich an diesem wirren, unglaublichen Tag das Essen völlig vergessen. Ich sollte öfter recherchieren, dann wäre ich bald schlank wie Heidi. Sport ist etwas für Fitnesspäpste, ich empfehle die Schriftsteller-Recherchediät!

    In der Gifthütte herrschte gähnende Leere, was mir nur recht war. Auch vom Schnüffler war weit und breit nichts zu sehen, was mich überraschte, da er mir doch bislang den ganzen Tag kaum von den Fersen gewichen war. Nach unserem Streit auf dem Sportplatz jedoch war er verschwunden. Regelrecht verschollen. Vielleicht hatte er endlich die Flucht ergriffen. Oder plante er die nächste Attacke? Spinner! Was auch immer er im Schilde führte, es hatte wohl etwas mit Mimmers Chronik zu tun. Und mit dem Gendarmen. Ich war jedoch nicht gewillt, ihm auch nur den kleinsten Hinweis zu geben. Ich hatte genug mit meinen eigenen Problemen zu tun. Sollte er doch selbst herausfinden, was er wissen wollte.
    Therese verschwand in der Küche. Warmer Mohnkuchen nach Art des Hauses, das war eine Versuchung, der ich nicht widerstehen konnte. Süßspeisen mit Mohn, egal ob Strudel, Torte oder Kuchen, trugen eine gewisse Schuld an meinen permanenten Gewichtsproblemen. Jeder Widerstand war zwecklos, ich war dem Zeug verfallen, besonders, wenn es warm, weich und saftig war. Mmmmm.
    Dazu kam noch der Frustfaktor. Keine Nachricht, keine Entschuldigung, nicht

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