Jagdzeit
einmal eine dämliche Ausrede von Seiten des Lehrers, seit er mich so schmählich per SMS versetzt hatte. Nichts, wirklich gar nichts, als existiere er nicht mehr. Ich erinnerte mich dunkel, ihm mitten in der Nacht, empört und schlaflos, wie ich war, eine Antwort-SMS geschickt zu haben, war allerdings zu feige, um im Postausgang nachzulesen, zu welchen Formulierungen ich mich hatte hinreißen lassen. Es hatte, pädagogisch wertvoll, etwas mit Götz von Berlichingen zu tun. Nun ja, abhaken, unter Misserfolge ablegen und nicht mehr daran denken.
Ich nahm einen Schluck von meinem Milchtee, während ich an die gespenstische Prozession durch den Ort dachte, der der Schnüffler und ich hatten beiwohnen dürfen. Die einzigen Fremden in dieser eingeschworenen Gemeinde. Außenseiter, denen man die kalte Schulter zeigte.
Die Wärme des Tees, den mir Therese in einer großen Porzellantasse serviert hatte, tat gut, obwohl der Geschmack fragwürdig war. Fischig irgendwie, als wäre das Wasser abgestanden oder aus einem bewohnten Gewässer geschöpft. Es war eben ein Dorfwirtshaus, kein Wiener Café und schon gar kein englischer Tearoom, dachte ich und seufzte. Mit vier Päckchen Zucker war das Zeug dann halbwegs trinkbar. Hauptsache, heiß und süß.
Sepp kam aus der Küche, einen Teller mit einem Riesenstück Kuchen in der einen, eine Gabel in der anderen Hand. Er platzierte beides vor mir auf dem Tisch, lächelte wie immer und wünschte mir einen guten Appetit. Ich dankte ihm, betrachtete die Monsterportion und versuchte, keine Kalorien zu zählen. Der Duft war überwältigend. Der grauschwarze Kuchen sah wunderbar saftig aus und war mit einer feinen Staubzuckerschicht sowie einem Berg Schlag garniert. Ein Traum.
Irritiert schaute ich auf. Der Wirt hatte sich keinen Zentimeter bewegt, er stand mit verschränkten Armen neben meinem Tisch, als wollte er meinen ersten Bissen von der Gabel in den Mund und bis in den Magen verfolgen. Ich sah ihn fragend an, woraufhin er mit Schöpferstolz auf den Kuchen deutete wie andere auf ihr erstgeborenes Kind.
»Ein bisschen Mohnkuchen.«
»Ja. Riecht toll.«
Wie zur Bestätigung und um ihm einen Wink mit dem Zaunpfahl zu geben, schnupperte ich an dem Kuchen und
nickte Sepp anschließend mittelfreundlich zu. Er schien das jedoch als Aufforderung aufzufassen und setzte sich auf den Stuhl neben meinem. Er trug dasselbe dunkelgraue Schafwollgilet, das er immer anhatte, darunter ein Flanellhemd von undefinierbarer Farbe und eine abgetragene Jeans, deren Hosenboden ausgeleiert war und fast bis zu seinen Kniekehlen hing. Seine Haare wirkten noch unfrisierter als sonst, seine Haut war womöglich etwas stärker gerötet.
»Hat Ihnen die Bürgerversammlung gefallen?«
Ich schwieg und teilte mit der Gabel ein Stück Kuchen ab, schaufelte Schlag darauf und führte es zum Mund.
»Interessante Sache«, sprach er weiter, als hätte ich ihn ermuntert, »wie verschieden Wölfe auf Jäger reagieren. Es gibt welche, die laufen davon, so schnell ihre Pfoten sie tragen. Andere lassen sich in die Ecke treiben und knurren dann lautstark. Einige warten einfach gottergeben ab, bis man ihnen die Schlinge um den Hals legt. Manche aber greifen an. Und erst dann wird die Jagd interessant, verstehen Sie?«
Ich kaute, was Sepp zufrieden zur Kenntnis nahm, den ersten himmlischen Bissen Kuchen, schluckte und ließ mir absichtlich Zeit mit meiner Antwort.
»Ich halte nichts von der Jagd. Das Ganze ist barbarisch. Außerdem ist es feige, mit Waffen zu schießen. Ich möchte nicht wissen, wie die Sache ausginge, wenn der Mensch mit bloßen Händen auf das Tier losgehen müsste.«
»Aber die Waffe hat der Mensch sich durch die Evolution erobert. Das macht ihn überlegen. Er geht aufrecht, und er kann Materialien zu Waffen formen. Für die Verwendung braucht er keine Rechtfertigung, er ist Mensch. Die Krone der Schöpfung.«
Ich lachte bitter, während ich das zweite Stückchen Mohnkuchen mit Schlag in Angriff nahm. Ähnliche Sprüche hatte der Bürgermeister auch geklopft. Ich erinnerte mich genau an seine Rede bei der seltsamen Versammlung auf dem Sportplatz und schauderte. Eine Wolfsjagd.
Mir fiel etwas ein, schnell schluckte ich die süße Mohnmasse hinunter und sah Sepp an.
»Was ist das für eine Hütte? Der Bürgermeister hat eine Waldhütte erwähnt, was hat es damit auf sich?«
Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, hörte der Wirt auf zu lächeln. In seinen Augen blitzte ein völlig fremder Funke, eine
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