Jagdzeit
entstand. Und diese Vielfältigkeit lässt sich zu Essenzen konzentrieren. Nichts, was
es nicht gibt in diesen Fässern. Met ist darin enthalten, der älteste, geheimste Kräfte hat, Met für jeden Zweck.«
»Herr Mimmer«, wende ich mich bittend an ihn, da meine Konfusion immer größer wird, »was hat es mit dem Met denn auf sich? Die alte Frau in der Hütte«, die Hexe , denke ich, »hat so Andeutungen gemacht. Veredelung, Weine, vor denen man sich in Acht nehmen muss.«
Mimmer lacht. »Das Waldgeheimnis nenne ich es. Was, zum Beispiel, weißt du vom Skaldenmet?«
»Skaldenmet? Noch nie gehört.«
»Skalden sind Sänger, die im alten Skandinavien für ihre Herren Gedichte und Lieder verfassten. Poeten. Dem Mythos nach hatten sie alle einen Schluck des berühmten Dichtermets getrunken, der tief unter der Erde in einem alten Gefäß verwahrt wird.«
Ich sehe flüchtig zu den Fässern an den Wänden.
»Und … und was bewirkt dieser Skaldenmet?«
Mimmer seufzt vor Ungeduld. Ich fühle mich wie die Vorzugsschülerin, der die korrekte Antwort auf der Zunge liegt, doch ich komme nicht darauf. Mein Kopf schmerzt, und eine lähmende Müdigkeit lastet spürbar auf mir.
»Du musst schneller denken, Olivia! Dieser Met ist kein Zaubertrank. Er enthält lediglich das Mark allen Lebens in sich. Die Quintessenz, aus der alles entstand. Er kann also nichts erzeugen, was nicht vorhanden ist. Doch in der richtigen Konzentration und Reife genossen, kann er verstärken, was da ist. Kurz gesagt, er macht keinen Dichter aus dir, aber er wird das herausbringen, was in dir steckt, und das, meine Liebe, magst du dann Inspiration nennen oder auch Wahrheit , wie es dir beliebt.«
Dichtermet! Mein Wunsch wird übermächtig. Ich brauche diesen Trank, ich weiß, dass ich nur damit mein Lebensziel erreichen kann. Leer und armselig werde ich mich fühlen, wenn ich ohne einen Schluck von hier verschwinde.
»Herr Mimmer«, rufe ich mühsam beherrscht, »ich muss diesen Met kosten!«
»Sehr weise, junge Frau. Doch wie alles im Leben hat er seinen Preis.«
Ich überschlage das Bargeld in meiner Börse, überlege sogar, trotz der Absurdität, ob Bankomat- oder Kreditkarte akzeptiert werden, bin aber in jedem Fall bereit zu bezahlen, was immer nötig ist.
»Ich muss ihn haben, koste es, was es wolle.«
Ich krame in meiner Tasche, zücke mein Portemonnaie, glücklich, dass es nun doch noch seinen Dienst erfüllt, nachdem ich es quer durch die Wildnis geschleppt habe, und sehe Mimmer erwartungsvoll an. Doch der kichert nur.
»So einfach ist das nicht. Mit Geld ist der Met nicht zu kaufen.«
»Womit dann?«
Ich spüre die Veränderung in der Luft, lange bevor ich das Geräusch höre. Genau genommen ist es nicht ein Geräusch, sondern eher eine Zusammenballung von vielen einzelnen Geräuschen. Es erinnert entfernt an Meeresrauschen, nur dass es nicht Wasser, sondern Luft ist, die in Bewegung zu geraten scheint. Langsam, wie in Zeitlupe, lege ich den Kopf in den Nacken und sehe, was mit dem gemalten Himmel über mir passiert. Schreiend werfe ich mich flach auf den Boden, während Mimmers Lachen durch das Gewölbe hallt.
Ein Vogelschwarm ist am Deckengemälde aufgetaucht und
kommt immer näher. Das kann aber doch nicht sein! Das ist völlig unmöglich! Es ist Farbe auf Stein, oder? Als wollten sie mich vom Gegenteil überzeugen, öffnen sie ihre Schnäbel, um mich zu begrüßen. Endlich sehe ich, um was für Geschöpfe es sich handelt, und begreife, dass das nicht nur ein böser Traum ist.
Ich muss mir die Ohren zuhalten. Die Schreie der Käuze mischen sich mit Mimmers Gelächter und hallen als gruseliger Chaoschor von den Wänden des Weinkellers wider. Hundertfaches Flügelschlagen erzeugt einen nach Gefieder und Wildheit riechenden Windstoß, der meine Haare endgültig zerzaust. Das Ende von Drei-Wetter-Taft. Wald unter, Kauzsturm, und die Frisur hält nicht .
Ich schnappe nach Luft, unterlasse es aber sofort wieder, denn ich atme eine Mischung aus Staub, Daunengeruch und Alkoholdunst ein, was mich zum Niesen bringt. Flach auf dem Boden liegend, drücke ich das Gesicht in meine rechte Armbeuge, die angenehm nach neuem Leder riecht, und warte ergeben darauf, dass sich die Eulenmeute auf mich stürzt. Ich hätte im Zuge dieses Waldabenteuers mit vielen Todesarten gerechnet, aber so ein Hitchcock-Szenario übertrifft wirklich alles. Denn aus der Decke flattert noch immer ein schier endloser Schwarm von Waldkäuzen in den Keller. Und da
Weitere Kostenlose Bücher