Jagdzeit
sind. Aber andererseits waren sie schon seit sehr langer Zeit dicke Freunde. Man könnte fast sagen: unzertrennlich.“
„Ja“, sagte Helen. Sie lächelte schwach, ihre Stimme klang gelassen, aber ihr Mund wurde schmal; ihre Augen wurden kalt. „Manchmal war ihre Freundschaft für keinen von uns leicht. Ich meine, für Pat, Sue und mich.“ Sie zögerte und sagte dann: „Ich denke, ich kann für uns alle sprechen. Es war, als wenn Ken, Greg und Art miteinander verheiratet wären und wir nur angenehme Mitläufer.“
Weder Pat noch Sue antworteten. Sie sahen weder ihn noch Helen an. Sie guckten auf den Teppich oder ins Feuer.
Das war’s. Sie würden keine gramgebeugten Witwen abgeben. Sie hatten, fast mit Erleichterung, akzeptiert, dass man sie sitzen gelassen hatte. Genauso wie die Polizei. Aber warum auch nicht? Es war der Weg, auf den er sie alle gelenkt hatte, den eigenen Chef, den Staatssekretär des Inneren, den Gouverneur, sogar die Presse. Die Leute glauben, was du ihnen sagst. Vor allem, wenn das die einfachste Lösung ist. Wenn du ihnen sagst, dass drei anscheinend glücklich verheiratete Durchschnittsamerikaner mittleren Alters aus der Mittelschicht ihre Frauen und Kinder im Stich gelassen, scheinbar glücklichen Familien und guten Jobs den Rücken gekehrt haben und in unbekannte Gefilde aufgebrochen sind, dann schlucken sie es. Besonders, wenn es keinerlei Gegenbeweise gibt.
So würde es also Südamerika sein. Zuerst Argentinien, dann vielleicht Bolivien. Ken würde sogar einmal gesichtet werden.
Paul Wolkowski blickte Helen an. Er mochte, wie sie aussah, ihre Stimme, ihren Körper und ihre Augen. Und sie machte ihre Sache wunderbar. Sie hatte Sue getäuscht. Aber ob ihr das auch bei Pat Wallace gelang? Er glaubte es nicht. Aber Pat wäre es schnuppe, wenn Helen eine Affäre mit ihm anfangen wollte. Sie war viel zu sehr mit sich selbst und ihrem Männerhass beschäftigt. Er saß da, sein Blick flog von einer Frau zur anderen, registrierte ihre eleganten Kleider, ihre selbstzufriedenen, gepflegten Gesichter, ihre wohlgenährten und wohlgeformten Körper, ihren Charakter. Kühl und professionell schätzte er sie ab. Der Wodka wärmte und steigerte sein Wohlbefinden.
Draußen antwortete der dort wartende Polizist auf eine Routineanfrage über Funk nach dem Verbleib seines Chefs. War Captain Wolkowski immer noch dort?
„Ja“, antwortete der Polizist. „Sicher.“
„Was schätzen sie, wie lange?“
„Ich denke, er wird ‘ne ganze Weile dort bleiben.“
Es hatte wieder angefangen zu schneien.
Nachwort
Was sich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einem nordamerikanischen Städtchen hinter gutbürgerlichen Fassaden abspielte, hat der seinerzeit in Ipswich/ Massachusetts lebende Autor John Updike in seinem 1968 erschienenen Roman „Couples“ (deutsch: „Ehepaare“, Reinbek, 1969) erzählt. Zehn Ehepaare finden zu einem promiskuitiven Reigen zusammen, in dem nach unausgesprochenen Regeln ein Kult des Sexuellen zelebriert wird — lustvoll und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Wobei, wie dann wenig später Gay Talese im Verlauf seiner letztlich neunjährigen Recherche für die Mammutreportage „Thy Neighbor’s Wife“, 1981, (deutsch: „Du sollst begehren. Auf den Spuren der sexuellen Revolution“, Berlin, 2007) notierte, die Initiative zum außerehelichen Quickie nicht ausschließlich von den Männern ausging: „Im Motelzimmer entledigte sie sich hastig ihrer Kleider. Bullaro betrachtete erneut ihren bemerkenswerten Körper, und wie früher legte sie auch diesmal eine gewisse Aggressivität an den Tag, als sie nackt ins Bett kletterte und ihn bestieg.“
Bereits Anfang der Fünfziger hatte der Sexualforscher Alfred Kinsey das Bild der vermeintlich prüden Amerikanerin, der keuschen Braut und treuen Gattin zurechtgerückt. Als Ergebnis einer Befragung von 6000 Frauen im Alter von zwanzig bis Mitte/Ende vierzig hatte sich gezeigt, dass die Lust auf anonyme One-Night-Stands und Überschreitung jeglicher Tabugrenzen sich nicht nur in den Köpfen der Probandinnen abspielte, sondern bei einem Großteil der Befragten bereits konkrete Erfahrung war. Damals taten sie es zumeist noch heimlich, spätestens aber mit dem Beginn der Hippie-Ära machten viele Frauen keinen Hehl mehr aus ihren sexuellen Bedürfnissen. Sie traten selbstbewusst und fordernd auf — während Präsident Lyndon B. Johnson zigtausend Männer nach Vietnam schickte, wo sie neben der Bombardierung von
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