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Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
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hatte, als er in einen Zug einstieg, komplett mit Aktentasche, Zeitung unter den Arm geklemmt, und seine beiläufigen Begrüßungen anderer Männer verrieten, dass er ihnen vorher mindestens schon tausendmal guten Morgen gewünscht hatte. Er schien also ein echter Sklave eines vom Morgen bis zum Abend durchgetakteten Zeitplans zu sein. Das Auto würde nicht vor dem Abend vermisst werden, und bis sein Besitzer zur Polizei kam und die Polizei seine Nummer an alle Polizeistationen im Bundesstaat übermittelt hatte, würde er den Wagen schon beseitigt haben.
    Daher fragte er sich, als er die Kanus angeboten sah, welches Risiko er wohl einging, wenn er auf dem Highway mit einem Kanu auf dem Dach unterwegs wäre. Er könnte von einem übereifrigen Polizeibeamten angehalten werden, der kontrollieren wollte, ob seine Ladung richtig gesichert war. Wenn die Nummer des gestohlenen Wagens in den nächsten sechsunddreißig Stunden durchgegeben würde, könnte sich der Polizist womöglich an sein Gesicht erinnern. Irgendwann später könnte das unter Umständen peinlich werden. Im Nachhinein könnte ein intelligenter Beamter sein Gesicht sogar mit mehr als nur mit Autodiebstahl in Verbindung bringen. Er könnte es mit Mord in Verbindung bringen.
    War das nicht eine größere Gefahr als der Diebstahl, den er geplant hatte?
    Die zehn Minuten der Konzentration, in denen er eine Entscheidung fällte, waren zermürbender gewesen als ein ganzer Arbeitstag. Wo vorher Klarheit und Entschiedenheit gewesen waren, tauchte plötzlich Unsicherheit auf. Er war in eine Zwickmühle geraten und verwünschte sich deswegen. Er hätte nie so schwach sein dürfen. Wenn du einen guten Plan ausgearbeitet hast, halte dich daran. Und dafür entschied er sich schließlich auch. Vor über einem Jahr hatte er den Gedanken verworfen, für diese Aufgabe eigens ein Kanu zu kaufen. Warum jetzt mit der Idee sympathisieren? Nervosität schien die einzig mögliche Erklärung.
    Dennoch fragte er sich während der ganzen Fahrt auf dem Freeway Richtung Norden, ob er das Richtige getan hatte. Er musste sich immer wieder diese Frage stellen, denn perverserweise sah er, während die Stunden vergingen und die Meilen unter der Haube seines gestohlenen Wagens dahinrollten, keinen Polizisten. Den ganzen Tag über. Nicht einen einzigen.
    Die Nacht brach an. Er gelangte zu dem Bootshaus und wartete, mit dem Gedanken: Jetzt werde ich einen Bullen sehen. Gerade wenn ich das Schloss aufschlage, wird einer vorbeikommen. Zum ersten Mal in fünf Jahren. So geht es immer.
    Aber alles lief wie geschmiert.
    Das Schloss hatte leicht nachgegeben. Das Kanu war schnell auf den gestohlenen Wagen gehievt und mit einer Spinne aus Expandergummis befestigt. Der Highway war so problemlos wieder erreicht, wie er ihn verlassen hatte. Zwei Stunden später hatte er eine Stelle erreicht, die nur hundert Yards vom Fluss entfernt war, dort konnte er das Kanu und seinen Rucksack verstecken.
    Inzwischen war es zehn Uhr abends und er war hundemüde. Aber er hatte noch einige Stunden harter Arbeit vor sich, bevor er ans Schlafen denken konnte. Er drehte um und fuhr vier Meilen auf der Straße zurück, ohne einem Wagen oder sonst irgendeinem Zeichen von Leben zu begegnen, und bog dann in einen stockfinsteren Weg ein, der von der Brandwache benutzt wurde und zu einem Sumpf führte. Als er fast unten angekommen war, schaltete er die Scheinwerfer und den Motor aus, stieg aus dem Wagen und wartete. Bereit, jederzeit lautlos in den Wald zu tauchen, horchte er auf irgendein Geräusch, das darauf hindeutete, dass jemand ihn dort herunterfahren gesehen oder gehört hätte.
    Aber er hörte nichts, nahm nichts wahr. Ohne die Scheinwerfer einzuschalten, kurbelte er die Vorderfenster hinunter, löste die Handbremse, trat zurück und wartete, dass das natürliche Gefälle des Weges seinen Teil der Arbeit tat. Der Wagen rollte vorwärts. Fünf Sekunden später war ein plätscherndes Geräusch zu hören, als das Auto ins Wasser tauchte. Dann kamen die Luftblasen. Zuerst platzten sie ganz leicht an der Wasseroberfläche, bald wurden sie wilder und wilder und rumorten immer lauter. Sie klangen wie Donner. Er riskierte es, die Taschenlampe anzuknipsen, die er aus seinem Rucksack mitgenommen hatte. Ihr bleistiftdünner Lichtstrahl zeigte ihm nur das Dach des Wagens über dem dunklen, aufgewühlten Schlamm des Teichs. Einen Augenblick später war es verschwunden.
    Die Tiefe hatte er letztes Jahr gemessen. Er hatte achtzehn

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