Jagdzeit
sie und wischte die Tasse mit Blättern rein, die danach denselben Weg in die Nicht-Existenz nahmen wie die Suppenverpackung. Er holte ein weiteres Päckchen aus seinem Rucksack. Dieses war größer und in Plastikfolie eingeschlagen. Es wog ungefähr ein Pfund und war ein Steak. Heute Nacht war höchstwahrscheinlich das letzte Mal für die nächste Zeit, dass er eine warme Mahlzeit zu sich nehmen würde. Er hatte vor, sie zu genießen.
Er stach einen dünnen, angespitzten grünen Zweig durch das Fleisch, schürte das Feuer zu einem flachen Kohlebett und hielt das Steak darüber. Er hatte sich sorgfältig das eine Risiko überlegt, das er nicht vermeiden konnte: Geruch. Er hatte beschlossen, es zu wagen. In etwa zehn Sekunden konnte er seine Campingschaufel losbinden, schnell eine Grube in den weichen Lehm am Fuß des Baums graben und das verräterische Fleisch verbuddeln. In weiteren fünf Sekunden konnte das Feuer zugescharrt werden. Das hatte er geübt und beherrschte es. Es gab noch die unwahrscheinliche Möglichkeit, dass der Geruch ein streunendes Tier, einen Wolf oder eher noch einen Kojoten, anlocken könnte. Beide wären zu scheu, um nahe heranzukommen. Die einzig ernstzunehmende Gefahr waren Bären. In dem Fall wäre er in Schwierigkeiten, denn ein Bär ist, obwohl ebenfalls scheu, auch neugierig, und wenn er sein Lager verlassen müsste, könnte ein Bär in wenigen Minuten interessierten Herumschnüffelns so viel Asche verstreuen, dass es ihn am nächsten Morgen eine Stunde kosten würde, alles wieder aufzuräumen. Ein Bär könnte womöglich in der Nähe bleiben und ihn zwingen, sich einen weniger bequemen und sicheren Platz für die Nacht zu suchen. Beide Möglichkeiten hatte er abgewogen und beschlossen, es zu riskieren.
Er bereitete weiter seine Mahlzeit zu. Nach einer Weile nahm er das Steak vom Feuer, zerbrach und verbrannte den spitzen Stock, und als das Fleisch genügend abgekühlt war, riss er mit seinen Zähnen daran und verschlang die leckeren Happen wie jedes andere Raubtier.
Er hatte einen langen und zermürbenden Tag hinter sich. Ursprünglich hatte er geplant, auf einem der vielen Campingplätze entlang des Huron-Sees zwischen der Mackinac-Brücke und der Saint Martins Bay ein Kanu zu stehlen. Der Diebstahl hätte ein gewisses Risiko mit sich gebracht, aber die Chancen wären eher günstig für ihn gewesen. Zu dieser Jahreszeit waren die Bootshäuser schon verschlossen, aber nur wenige waren ausreichend bewacht. Kanus waren nicht gerade das, was Anfang November gerne gestohlen wurde. Nach sorgfältigen Erkundungen hatte er im letzten Jahr eines gefunden, das ein Kind hätte unbemerkt stehlen können.
Theoretisch.
Das Bootshaus war für sich gelegen, am Ende eines schmalen Feldwegs, dreihundert Yards vom Haus des Besitzers entfernt, und vom Highway aus zu erreichen. Es lag weit genug weg, dass bei ausgeschalteten Scheinwerfern das Motorgeräusch niemanden warnen würde. Was noch unglaublicher war: Fünfundzwanzig Leichtmetall-Kanus waren völlig sorglos nur durch ein Vorhängeschloss an der Tür gesichert, schwach genug, um es mit einem starken Hammerschlag aufbrechen zu können.
Und es gab auch keinen Hund.
Trotzdem bestand die Möglichkeit — eine Eins-zu-tausend-Chance —, dass irgendetwas schief gehen konnte. Diese minimale Möglichkeit hatte dazu geführt, dass er stehen blieb und überlegte, als er am Morgen an dem Sportgeschäft im Einkaufszentrum vorbeigefahren war und ein Dutzend glänzender Kanus gesehen hatte, die für fünfzig Dollar das Stück zu haben waren.
Plötzlich gab es, mitten in der sorgfältigsten Planung, ein unvorhergesehenes Ereignis und eine Entscheidung musste getroffen werden.
Ein Kanu stehlen oder billig kaufen.
Egal, wofür er sich entschied, gab es das Risiko, als Dieb verhaftet zu werden. Denn der Wagen, den er fuhr, war ebenfalls gestohlen.
Er hatte sich alles folgendermaßen ausgedacht: An dem Morgen, als er sein Haus verlassen hatte, war er zu einem größeren Bahnhof gefahren, von wo aus Pendler nach Detroit reisten.
Er hatte den Koffer, der seinen Rucksack mit dem zerlegten Gewehr enthielt, in einem Schließfach deponiert und seinen Wagen in eine dortige Garage gebracht, um Bremsen und Ventile überprüfen zu lassen.
Dann war er zum Bahnhof zurückgekehrt, hatte seinen Koffer abgeholt und sich auf dem riesigen Parkplatz für Pendler einen Wagen besorgt, dessen Besitzer er vorher ausgekundschaftet hatte. Es war ein Mann, den er beobachtet
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