Jage zwei Tiger
Abteilung. Und zwar vollkommen normal, lustig und cool. Und in ihrer alles überschattenden charmanten Supermanier gab sie mir innerhalb von drei Sekunden mit der als Anweisung gemeinten Frage ›Du sagst aber keinem was, oder?‹ so derart lässig zu verstehen, dass sie bereits alles in die Wege geleitet hatte, um nicht dort bleiben zu müssen, dass ich wieder wahnsinnig verliebt in sie war.«
»Und was war das genau? Da im Stuhlkreis? Sie war richtig in der Klapse?«
»Ja, sie war richtig in der Klapse, und da waren Kranke aller Sorten.«
»Was denn für Sorten zum Beispiel? Auch so richtige, ähm –«
»Na ja, da rannten natürlich auch so Debile rum und so richtig Verrückte auch. Und auch Alkoholiker und Junkies und so ganz fertige Alte mit rausgerissenen Haaren und Jogginganzügen. Und deine Mutter, die hatte dem kompletten Betreuerteam innerhalb kürzester Zeit deutlich gemacht, dass sie da nicht hingehörte. Und das war wirklich das Bipolare.«
»Und dann bist du in diesen Raum reingekommen. Und was ist dann passiert?«
»Ja, wie gesagt, das Komische war, ich vor dieser Anstaltsabteilung, und dann hat sie die Tür aufgemacht. Von der Anstalt. Da komm ich immer noch nicht drauf klar.«
»Sie hat die Tür aufgemacht? Von der Anstalt?«
»Sie hatte sich da sofort assimiliert, sofort mit den Pflegern angefreundet, sie konnte ja auch total charmant sein und alles. Und ist dann ja auch pfiffig gewesen und hell und intelligent, ich meine, deine Mutter war wirklich eine der intelligentesten Frauen, die ich je kennengelernt hab. Es sei denn, sie war irgendwie daneben. Und dann brach sie trübe zusammen und war nur noch total stier und doof und gewalttätig. Aber ansonsten, wenn sie klar im Kopf war, irre schlau. Glaub bloß nicht, dass du die Intelligenz von mir hast.«
Daraufhin musste Kai lachen, weil ihm nie zuvor jemand gesagt hatte, dass man ihn intelligent fand. Er ging noch einige Meter schweigend weiter und dann in die Hocke, um seinen Schnürsenkel zuzubinden. Unweigerlich tauchte das Bild von der Autobahn auf mit diesem idiotischen Folkloreersthelfer, der sich die Sportschuhe vernünftig zu- und danach, anstatt seine Mutter zu retten, alles etwas zu richtig gemacht hatte. Ihm fiel auf, dass er große Sympathien für seinen Vater hatte. Alles, was der tat, war irgendwie halbseiden und basierte auf nichts anderem als abgebrannten Überzeugungen. Kai mochte das. Zumal der Rest der Menschen eher so rumlief wie Telefonistinnen verbrecherischer Entwicklungshilfeorganisationen.
Er sagte: »Und wo war ich da? Als sie in der Klapsmühle war?«
»Wo du da warst?«
Er sah seinem Vater an, dass er keinen Schimmer hatte. Anstatt zu antworten, blieb Detlev mal wieder stehen. Er deutete auf eine seltsam derangierte Mischung aus Designergarage und Gartenlaube. Die Fassade des Hauses war schwarz und vor dem mit Betonklötzen abgegrenzten Vorgarten, in dem massenweise Unkraut wuchs, stand ein von dicken Staubschichten bedeckter Porsche Carrera. Das Auto war vermutlich irgendwann mal schwarz gewesen, jetzt aber in schlechtem Zustand mit an Einschusslöcher erinnernde Unebenheiten. Detlev seufzte, mal wieder fast erleichtert angesichts der Tatsache, dass das Auto zu runtergerockt war, um auf der Autobahn als Statussymbol missverstanden zu werden.
»Wir sind da! Ich hab ihn allen Ernstes gefunden, diesen Scheiß hier!«, sagte er dann, nahm Kai an die Hand und zog ihn in einem Anfall von kleinkindlichem Stolz in Richtung Haustür.
Der Besitzer des Hauses erinnerte Kai an seinen ehemaligen Geschichtslehrer. Er trug einen eng anliegenden Pulli mit V- Ausschnitt und darunter ein Hemd, das er offensichtlich bei Tchibo im Dreierpack gekauft hatte. Detlev und der Typ umarmten sich in dieser für zwei an wenig anderem als Frauen interessierten Männer typischen Unbeholfenheit. Sie schienen sich schon sehr lange zu kennen. Der Typ gab Kai die Hand, sie standen im Windfang des Eingangsbereiches. Kai konnte durch die vom Flur abgehende Glastür ins Innere des Hauses sehen. Dort standen abstruse Konstruktionen aus Müll und ausgestopften Tieren auf Glassturzsockeln. Die Wände waren irre bunt und mit mülltütenähnlichen Materialien zugeklebt. Neben der Fußmatte im Windfang lagen gestapelte Bildbände, ganz oben eine illustrierte Abhandlung über die Spezialeffekte bei Star Wars . Daneben ein ausgestopftes Ziegenbaby mit nur drei Beinen. Es starrte Kai aus seinen toten Augen so lebhaft an, dass er fragte, was es da
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