Jage zwei Tiger
alles, und dann brachte sie es regelmäßig fertig, nachts um zwölf alle Beteiligten so zu beleidigen, dass die augenblicklich betreten abhauten. Bei allen Frauen, die in meiner Nähe waren, egal ob arbeitstechnisch oder – scheiß drauf, da flippte sie jedenfalls total aus. Als meine damalige Assistentin mit ihrem Freund zu Besuch war, da warst du noch nicht geboren, fing sie plötzlich an, diese Frau in die Scheiße zu treten, und am Ende trieb sie sie mit nem auf ihren Hals gerichteten Küchenmesser aus der Wohnung und schrie mich an, sie würde sich umbringen, wenn die Idioten nicht sofort das Haus verließen. Das hing damit zusammen, dass Binky dachte, diese Assistentin hätte irgendwann mal was gewollt von mir. Sie war eifersüchtig. Und, also, Susanne, die hatte das ja auch oft, aber Gott sei Dank nicht mit diesen schrecklichen Folgen.«
Kai realisierte die Betonung von »hatte« als eine Ankündigung darauf, Susanne nie wiederzusehen. Er wusste nicht genau, was dazu geführt hatte, spürte jedoch, dass sie endgültig ausgezogen sein würde, wenn sie morgen früh nach Hause kämen. Sein Vater wirkte, als sei ihm das ebenfalls erst jetzt in aller Deutlichkeit klargeworden, und guckte aus dem Fenster, um nicht zu weinen. Die beiden schwiegen, stundenlang. Bis Kai fragte, ob der Typ mit dem Tchibohemd ihnen das Auto jetzt allen Ernstes geschenkt habe.
Detlev antwortete nicht. Stattdessen holte er eine Sex-Pistols- CD aus dem Handschuhfach und schob sie in den Player.
12
Die Wohnung in München war kalt und leer, und Susannes Schlüssel lag auf der kleinen Kommode im Flur. Der stilechte Aufriss eines überstürzt und doch gediegen verlassenen Ortes. Was fehlte, waren ein mit Lippenstift schräg über den Badezimmerspiegel geschmiertes Statement (»It just didn’t work out« zum Beispiel), die Hälfte der Möbel und der Fernseher. Der Besitz seines Vaters beschränkte sich auf mit Bildbänden gefüllte Metallregale vom Baumarkt und ein bisschen Ikeaschrott. Zwar war ihm Inneneinrichtung allgemein scheißegal – er hatte trotz eines Dispos von 50.000 Euro nie eingesehen, etwas davon für Möbel auszugeben, und war jahrelang mit Bierzeltgarnituren auf zwanzig Quadratmetern lila Teppichboden ausgekommen. Aber aus dieser tristen hinterbliebenen Scheiße ging in aller Deutlichkeit hervor, wovor ihn Susanne ca. vierundsechzig Monate lang bewahrt hatte: ein Zustand unberechenbarer Verwahrlosung. Er inspizierte die sechs Zimmer, seelenruhig, aber ohne seinen Mantel ausgezogen oder die Reisetasche abgestellt zu haben. Kai warf derweil einen Blick in den Kühlschrank, in dem nichts anderes mehr als ein von Susanne halb aufgegessener, verschimmelter Magermilchjoghurt stand. Von einem kleinen mit Zwickklammern ausgestatteten Drahtkonstrukt überm Herd waren alle Postkarten abgenommen worden. Stattdessen klemmte da jetzt ein Briefumschlag, von dem was Bedrohliches ausging. Kai brachte ihn seinem Vater, der vor einem Bettgestell ohne Matratze stand und sich apathisch seine Jacke auszog, während er ihn öffnete.
»Soll ich vorlesen?«, fragte er.
Kai zuckte mit den Schultern. Detlev las vor:
»Lieber Detlev. Ab morgen früh habe ich einen Führerschein und ein ultragediegenes Auto, mit dem ich aussehe, als würde ich gerade meine zufällig im Hampstead vergessenen Kinder plus Golden Retriever zum Crickettraining fahren. Kombi mit Sitzheizung, Sitze aus weißem Leder. Meine Kinder, ich nenne sie dann nur ›meine boys‹, heißen Balthasar und Jonathan, Zweitnamen jeweils Rupert und Donald. Natürlich immer schön anglo ausgesprochen. Wie geil ist bitte der Ansatz, seinen Kindern die gleichen Zweit- und Drittnamen zu geben? Ganz toll. Und eigentlich auch eine große Katastrophe, dass Du nicht so heißt: Detlev-Karl-Jasper der Erste Stratmann, genannt Donald.«
Detlev guckte Kai zweifelnd an. Kai war ebenfalls irritiert. Er fragte, ob der Brief noch weitergehe, und Detlev nickte, steckte ihn aber in seine Arschtasche.
»Der Rest ist langweilig für dich«, sagte er. Und dann, nach einem leicht aggressiven Schnaufen: »Aber ich soll dich grüßen. Sag mal, hab ich dir mal von meinem Halbbruder erzählt?«
Kai verneinte, und Detlev sagte in einem Anflug von Weltschmerz und Gereiztheit:
»Der heißt Karl-Theodor Maria und war mit 17 der jüngste Dreifachweltmeister der DDR , im Windsurfen. Von da an ging es dann mit der Karriere bergab. Da kam kein Domizil in Malibu oder so was. Nichts. Und heute ist er in
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