Jage zwei Tiger
beispielsweise fünfzehnmal pro Tag, dass es das zu ihrer Zeit ja nicht gegeben habe, als sie damals mit neun Jungs in Marl in die Bodegabar gegangen ist oder ins Coco Metropole und mit achtzehn schon sechs von denen tot waren, Heroin, siebziger Jahre.
Aber sie macht das gut. Dafür, dass sie mal 30 Millionen auf dem Konto hatte und jetzt auf der Straße säße, hätten ihr nicht ein paar barmherzige, gönnerhafte Arschlöcher geholfen, ist sie ein halbwegs zufriedener Mensch geworden.«
Julia hatte bereits mit acht Jahren eine 200 Quadratmeter große Wohnung in Zürich besessen, ihre Brüder mehrere Grundstücke in Texas, ihre Mutter einen Jaguar E, ihr Vater selbst zwei Jaguar mit zwölf Zylindern, die Limousine in verschiedenen Farben, zusätzlich einen Range Rover und mehrere Anwesen in ganz Europa. Er hatte ein Patent entwickelt für ein Katastrophenschutzpulver, mit dessen Hilfe Öl im Wasser gerinnt und dadurch abgeschöpft werden kann. Das Zeug wurde bei untergegangenen Bohrinseln verwendet und bei Tankerunglücken, es gab Aufträge ohne Ende, bis aus der Firma eine Aktiengesellschaft gemacht werden sollte, zu der Zeit, in der alle neuen Firmen den Bach runtergingen. Die ganze Kohle war in eine Fabrik auf einem ehemaligen Peek & Cloppenburg-Gelände gesteckt worden. Die Gesellschaft war gegründet, aber keiner kaufte die Aktien, keiner kaufte die, und währenddessen war die Telekom den Bach runtergegangen und alles andere auch, und dann war das Geld plötzlich weg. Kurz darauf wurde Julias Vater krank und starb. Um es noch mal zu betonen: Das Geld war weg. Ihre Mutter saß in ihrer 70.000-Euro-Edelstahlküche in der Wohnung in einem internationalen Kurort und konnte ihre Nebenkosten nicht mehr bezahlen, nichts mehr, gar nichts, während unten in der Garage die Jaguare standen. Kein Geld für Benzin, kein Geld für Strom, kein Geld für die Heizung, bergeweise Schulden, die sie dazu zwangen, nach und nach die Wohnungen, die Autos und ihre Pradamäntel zu verkaufen. Sie konnte sich das Schulgeld nicht mehr leisten, Julias älterer Bruder haute auf die British Virgin Islands ab, entwickelte dort raffinierte Steuerhinterziehungsmaßnahmen und meldete sich nie wieder, während Julia von einem Eliteinternat auf ein öffentliches Gymnasium im Problemviertel einer Kleinstadt, die sie nicht kannte, wechselte, um es zwei Monate später nicht mehr zu betreten. Cecile hatte nie gewusst, warum sie weggegangen war, bis Julia ihr vor sechs Monaten einen zwanzigseitigen Brief ins Internat geschickt hatte mit ihrer aktuellen Adresse und der kompletten detaillierten Schilderung der Story plus Erfahrungsberichten über den Aufenthalt in einer Art Armenheim und mehreren Selbstmordversuchen und dem Schlusssatz, dass Cecile die beste Freundin gewesen sei, die sie je gehabt habe. Cecile hatte nicht zurückschreiben, geschweige denn den Satz erwidern können, obwohl sie wusste, dass er der Wahrheit entsprach. Gleichzeitig wusste sie auch, dass sie Julia im Extremfall anrufen könnte, und mit diesem Extremfall im Gepäck saß sie hier, jetzt, Julia gegenüber, seit einer Stunde, bei McDonald’s.
»Und wie geht’s dir?«, fragte Julia, nippte an einer Fanta und guckte einer Jungsgruppe in Picaldisweatshirts dabei zu, wie sie einem Mädchen deren komplette Packung Pommes in den Mund stopften. Cecile antwortete nicht, Julia zuckte mit den Schultern.
»Red drüber, wenn du willst, wenn nicht, auch okay. Ich hab geheiratet, by the way.«
»Du hast dich verändert.«
»Hast du gehört, was ich gerade gesagt habe?«
»Was?«
»Ich hab geheiratet!«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Willst du nicht wissen wen? Und wie und wo?«
»Selbstverständlich.«
»Im Colors, einem sehr üblen Berliner Secondhandladen in der Bergmannstraße. Der Bräutigam trug ein T -Shirt, auf dem ›n for naughty‹ stand, und der Typ an der Kasse, der die Zeremonie durchführte, war irre unfreundlich. Trotzdem war es der schönste Tag meines Lebens.«
Cecile konnte schlechterdings nicht antworten.
»Ich erzähl einfach weiter, ist das okay? Schnuppi? Hallo?«
Cecile nickte.
»Unterbrich mich, wenn dir langweilig wird. Der Typ heißt Aram. Ich hab ihn kennengelernt, als ich irre genervt ein WG -Zimmer in Berlin für unter 150 Euro suchte, mir war völlig egal wo, ich hatte Gelenkrheuma und war suizidal und wollte einfach nur irgendwo ein Scheißbett haben. Und in der ersten Wohnung, die ich mir anguckte, saßen da irgendwie so fantastische
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