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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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dass sie verliebt war. Sie aß drei Leberwurstbrote und einen Riesenberg von Irinas übrig gelassenen Nudeln auf und musste an ihre ehemalige Klassenkameradin Nelly Grossman-Hensel denken, schwer übergewichtig, in deren Wohnung an allen Küchenschränken hübsch gestaltete Zettel klebten, auf denen »Wenn du Hunger hast, iss Obst! Denk an Tokio Hotel!« stand.
     
    Am nächsten Tag machte sie genau dasselbe wie am vorigen, lief also durch München spazieren und fraß mehrere Cheeseburger, die sie jedoch gegen 18:30 Uhr in die öffentliche Besuchertoilette des Karstadt am Gärtnerplatz erbrach. In der Bar legte ein Mädchen mit weißer Ponyfrisur Krautrock auf. Cecile wartete bis halb eins auf Detlev, der nicht auftauchte, und fuhr dann mit der letzten S- Bahn nach Hause, wo Irina und ihr Mann Sushi aßen und einen Film mit Steve Buscemi an die Wand beamten. Irinas Mann lachte glücklich, und Irina war angezogen, als befände sie sich auf einem Empfang für die Queen. Sie guckte Cecile an, kalt, kokett und tief verletzt, und flüsterte ihr ins Ohr, dass ihre Sachen im Gästezimmer lägen. Im Gästezimmer schloss Cecile die Tür und riss hysterisch schluchzend ihre Reisetasche auf, der Elefant war noch da.
     
    Donnerstags hatte die Bar geschlossen. Am Freitag kannte der Barkeeper bereits Ceciles Namen und stellte ihr ungefragt einen Bronx auf den Tresen, zu dem sie sich von ihm eingeladen fühlen sollte. Detlev saß an der gegenüberliegenden Seite und schraubte an einer vulgären, aber gutgebauten Tussi rum, die vermutlich gerade eine Ausbildung zur Sozialpädagogin machte und verhalten rumkicherte. Als er Cecile sah, guckte er schnell wieder weg, woraufhin Cecile, von einer scheißchristlichen Hoffnung dazu angehalten, würdelos zu agieren, nicht ging, sondern einfach auf ihrem Platz sitzen blieb. Jedem auf sie zutretenden Individuum, das eine Diskussion über Palästina oder ihre Frisur anzufangen versuchte, gab sie mit einem sparsamen Blick zu verstehen, dass sie hier nicht zum Spaß saß. Nach einer Stunde war Detlev so betrunken, dass er fast hinfiel, als er aufstand und zur Toilette ging. Die Frau sah ihm leicht angewidert hinterher und kramte ihr Handy aus der Tasche, mit dem sie sich so lange beschäftigte, bis er wiederkam. Er versuchte, sie von hinten an sich zu ziehen und auf den Mund zu küssen, woraufhin sie aufsprang, ihre Hand in die Luft riss, wie um ihn zu ohrfeigen, und dann zu einer Gruppe von drei Typen in pastellfarbenen Hemden in die andere Ecke der Bar ging, die sie bemitleideten, als hätte sie gerade jemand mit einem Messer bedroht. Cecile stand auf und ging zu ihm.
    »Geht’s dir gut?«, fragte sie.
    »Ja, mir geht’s großartig«, sagte er und suchte mit seiner Hand am Tresen Halt, um nicht zu stürzen.
    »Sollen wir woandershin gehen?«, fragte Cecile.
    »Ich geh nach Hause.«
    »Wie bitte?«
    »Ich geh nach Hause . Ohne dich.«
    Cecile schwieg kurz. Dann sagte sie: »So kannst du mit der Liebe eines kleinen, unschuldigen Mädchens nicht umgehen«, woraufhin Detlev in schallendes Gelächter ausbrach und, als er sich beruhigt hatte, antwortete, sie sollten sich lieber darüber unterhalten, wie sie mit der Liebe eines alten, verräterischen Mannes umzugehen habe. Jemand anders fragte, was der Spasti da redete, im Hintergrund zündete die Psychologieprofessorin ihre Bluse an, alle schrien, und als Detlev sich umdrehte, um zu sehen, was passiert war, nahm Cecile seine Hand und zog ihn nach draußen.
     
    »Du kannst mit mir alles machen, was du willst«, lallte er im Taxi mit halb geschlossenen Augen. »Bis ich erkenne, dass du ein genauso widerwärtiger, hedonistischer Poser bist wie ich selber und diese ganzen anderen Afterhour-Verwundeten von vorhin. Warum, glaubst du, sind wir da alle gelandet? Weil uns mal ne große Zukunft versprochen wurde, als wir so alt waren wie du, ist aber nie eingelöst worden. Ich mein’s todernst, du komische Kleine. Ich kann dich irgendwie nicht leiden. Aber deinen Schal mag ich.«
    »Er dich auch«, antwortete Cecile, und beide lachten. Dann hatte Detlev einen hysterischen Hustenanfall und schlief ein.
    Cecile sagte: »Ich bin verliebt in dich.«
    Und Detlev antwortete mit geschlossenen Augen: »Such dir lieber ein nettes Mädchen in deinem Alter.«
     
    Um Viertel vor fünf lagen die beiden nebeneinander im Englischen Garten, auf dem Fundament des Monopteros-Pantheon mit Ausblick über die in irgendeinen nebeligen Dunst getauchten Grünflächen, und

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