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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Lisbeth.
    Denk an das Kind, Cresspahl.
    Lisbeth. Lisbeth.
    Wir sind es dem Kind schuldig, Cresspahl.
    Lisbeth.
    Wenn uns was zustößt, Cresspahl.
    Dafür bist du nach Deutschland gefahren, Lisbeth.
    Mit deinem Wissen, Cresspahl.
    Dafür bin ich nicht gekommen.
    Jetzt bist du hier.
    Und ich wollte nicht kommen.
    Zu kommen war deine Pflicht und Schuldigkeit.
    Und wenn ich nicht gekommen wäre?
    Dann ginge es jetzt nach dir.
    Ich bleib nicht in Deutschland.
    Aber uns gehört jetzt ein Stück davon.
    Ich brauch keins.
    Aber ich, Cresspahl.
    In die Geburtsanzeige hast du geschrieben: Jerichow und Richmond.
    Weil es sich so verhält.
    Weil du angeben wolltest, Lisbeth.
    Es wird nicht schaden.
    In Lübeck haben sie mich verhaftet.
    Ein Mißverständnis.
    Hab ich anders verstanden.
    In Mecklenburg haben wir Nazis in der Regierung schon seit vorigem Sommer.
    Knallköppe.
    Siehst du.
    Revolverhelden.
    Siehst du. Was gehen sie uns an, Cresspahl.
    Du bist verwandt mit einem.
    Um so besser.
    Von deinem Vater das Haus, von deinem Bruder die Beziehungen.
    Ein andrer würd sich freuen.
    So einer ist hier nicht.
    Ach Cresspahl, dein Stolz.
    Geschäftlich ist es irre.
    Papenbrock hat Zoll ausgekauft. Zoll geht nach Gneez in die Partei.
    Der auch. Du auch?
    Cresspahl, Faschisten hast du auch in London.
    Nicht an der Regierung.
    Noch nicht.
    Nie.
    Willst du wetten, wenn es um dein Kind geht?
    Lisbeth, wir wären doch nicht mehr lange Ausländer.
    Aber noch lange.
    Lisbeth, das Kind wäre britische Bürgerin.
    Nicht gleich.
    Sollte sie deshalb in Jerichow auf die Welt?
    Ja.
    Ja?
    Cresspahl, es war nichts für mich.
    Du wolltest ein Haus in Richmond.
    Und jetzt will ich eins hier.
    Du konntest leben in Richmond.
    Mir waren schon die Farben zuviel.
    Die Farben. Lisbeth.
    Ja. Das Rot. Das Blau. An den Schiffen, den Briefkästen, den Uniformen. Solche kalten Farben.
    Die Farben von diesem Maler, Con …
    John Constable. Das war ein Maler. Das waren gemalte Landschaften.
    Du mochtest sie.
    Als Kunst, nicht zum Leben.
    Wem ist dies eingefallen?
    Papenbrock.
    Lisbeth.
    Ich habe ihn gefragt.
    Wann.
    Als das Kind geboren war.
    Lisbeth. Lisbeth.
    Ach, Cresspahl. Als ich aus England kam.
    Lisbeth. Lisbeth. Lisbeth.
    Du redest, als hätten wir noch eine Wahl.
    Wir.
    Das mein ich so, Cresspahl. Wir.
    Papenbrock machte seinem Schwiegersohn die Mitteilung von der Schenkung in Gegenwart seiner Tochter. Er vertraute darauf, daß mit bettlägrigen Wöchnerinnen nicht geschrien wird. Im weiteren hatte er geplant, das Gespräch des jungen Paars im Anfang zu beaufsichtigen. Tatsächlich begann Cresspahl mit der Bemerkung, der Einfall wolle überlegt sein. Daß der dann das Zimmer verließ, mit einem geradezu beiläufigen Blick auf Lisbeth Cresspahl, das hatte Papenbrock nicht erwartet. Er war immer noch zuversichtlich, seinen Willen durchzusetzen, aber ihm war die Hoffnung auf Vergnügen dabei vergangen.

3. November, 1967 Freitag
    Der Kanzler Westdeutschlands, ehemals Angehöriger und Beamter der Nazis, hat als neuen Sprecher seiner Regierung einen ehemaligen Angehörigen und Beamten der Nazis benannt.
    Sie lernen es nicht. Sie betrachten die Hand, mit der sie ihre überlebenden Opfer ohrfeigen, und begreifen es nicht: sagte der Schriftsteller Uwe Johnson. Darauf bekam er eine Ohrfeige.
    Denn auch der Schriftsteller Johnson hatte etwas nicht begriffen. Vor einem dreiviertel Jahr erst, am 16. Januar, setzte er sich abends hinter den langen, grün verhängten Tisch, den der Jewish American Congress im Ballsaal des Hotels Roosevelt aufgestellt hatte, ließ sich sehen neben dem Löwenhaupt des Rabbi Joachim Prinz (früher Berlin-Dahlem) und wartete darauf, den Juden New Yorks etwas zu erzählen über die Wahlerfolge der westdeutschen Nazipartei.
    Wo hast du gesessen, Gesine.
    Gut genug, dich zu sehen, Genosse Schriftsteller.
    Hinten.
    Ja, weit weg, dicht an einer Tür.
    Solche Redner aus Deutschland müssen eingeführt werden, wie sie es verdienen. Diesen führte ein Funktionär des Jewish American Congress ein mit der Geschichte eines Freundes, der neulich mit der Deutschen Lufthansa von Philadelphia nach Düsseldorf zu fliegen gedachte und mit seinem Platz auch koscheres Essen bestellte. Als er im Flugzeug der Deutschen festgeschnallt war, hatten sie kein koscheres Essen für ihn, aber sie machten vom Englischen Kanal an das, was im Ersten Weltkrieg Loopings hieß. - Sagte ich zu meinem Freund: Mußtest du ihnen denn verraten, daß du Jude bist?
    Der Saal

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