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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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merkbar, nachbarschaftlich eben. Der Herr war von Mr. Karsh beauftragt. Es war ein reelles Geschäft. Denn Mr. Karsh war keineswegs entführt worden. Er war auf eigenen Füßen und aus eigenem Willen dorthin gegangen, wo er jetzt war. Er sei nicht eigens eingeladen gewesen, und man habe ihn auf das Unhöfliche, nahezu Ungehörige seines Verhaltens aufmerksam gemacht. Herr Karsh habe darum gebeten, den unerfreulichen Eindruck gutmachen zu dürfen. Man habe Herrn Karsh einen Preis genannt. Herr Karsh habe den Preis akzeptiert. Es sei ein einmaliges Geschäft, wenn auch nicht ohne allseitiges Einvernehmen durchführbar.
     
    – Haben Sie Ihrerseits Beschwerden, Lady?
    – Nicht im mindesten: sagte Gesine.
    – Und du, young lady?
    – Ach wo: sagte Marie. - Aber ich wünschte, Sie würden sich beeilen. Ich muß morgen früh in die Schule.
     
    Als der Mann auf dem Rücksitz die Scheine durchgezählt hatte, schob er sie in den Umschlag, bog die Klappe wieder ein und sagte: Nicht ganz.
    – Was heißt hier nicht ganz! sagte Marie. Sie gab sich aufgebracht. Vorhin hatte sie noch am Ausgang des Unternehmens gezweifelt. Zweitausend Dollar schienen ihr ein zu geringer Preis für einen lebenden Menschen, und sie hat recht, branchenüblich sind solche Kleckerbeträge nicht. Jetzt zeigte sie bloß Wut über Untreue bei Abmachungen.
    – Wir hatten Auslagen: sagte der Partner: Telefon. Benzin …
    Das machte noch einmal dreizehn Dollar. Dann bekamen wir einen Sicherheitsschlüssel und eine Ortsbeschreibung. Der Ort war eine halb ausgebrannte Ladenzeile in Newark. Die Feuer des Aufstands hatten die Kunststoffblenden, die Ladenschilder, die Röhren und Tafeln der Reklame weggefressen, die Fassaden geschwärzt. Die Tür war die zu einer Frisierstube für Männer, zwischen einem Waschsalon mit Münzautomaten und einem zerschlagenen Schnapsgeschäft. Der Schlüssel paßte. Unter der Feuchtigkeit des Abends war der Geruch der Asche und des angekohlten Holzes wieder aufgewacht. Innen war nichts mehr zu erkennen. Die Schritte trafen auf Glassplitter. Das Glas knackte wie von Fremden, als Marie nach draußen lief. Sie verläßt sich ganz und gar auf D. E.; wenn sie eine Taschenlampe braucht, wird er eine für sie haben. Als das Licht in seinem Wagen anging, schien dessen Umriß sich zu strecken vor Behaglichkeit. Das einzige fahrtüchtige Auto in der verlassenen Straße, es sah schutzlos aus, nicht schützbar. Mit D. E.s Taschenlampe kam Marie zurück. Sie fand die Tür zu einem rückwärtigen Raum. Hier waren die Fenster noch nicht kaputt, und die Luft war stickig von der überdrehten Heizung. Hier, in einem von zwei Friseursesseln, lag jemand, mit Gurten um Brust, Bauch und Beine angebunden. Sie hatten die Lehne bis zum Anschlag nach hinten gestellt und die Fußstützen angehoben. Es mochte nicht allzu unerträglich sein für jemand, der auf dem Rücken zu schlafen gewohnt wäre, wenn auch nicht für einen ganzen Tag. Es war eine von den Situationen, in denen ich mich für Momente nicht rühren kann. Es hilft nichts, daß ich weitergehen will. Der Mensch rührte sich nicht, und leise waren wir nicht hineingekommen. Marie in ihrer Wut sah sich gar nicht vor, als sie ihm die Binde von den Augen riß. Davon wachte Karsch auf.
    Während der ganzen Fahrt zum Flughafen Newark und zum Busbahnhof in Manhattan war Karsch auf eine lächerlicheWeise kleinlaut. Beim Abschied versuchte er sich zu entschuldigen. Das konnten wir nicht annehmen. Er versuchte sich zu bedanken. Das konnte Marie nicht annehmen.
    – Für Sie hab ich es nicht getan! sagte Marie.
    Jetzt ist es gegen elf Uhr am nächsten Morgen, und nun endet es. Jetzt sucht die Polizei von Newark nach D. E.s Wagen, den Frau Erichson gestern abend als vom Flughafen Newark gestohlen gemeldet hat. Am Flughafen wird die Polizei nicht gleich anfangs suchen.
    Jetzt kommt der Anruf von Karsch aus London. Karsch spricht aus einem Hotel an der Gloucester Road, wenige Schritte von dem Bahnhof, durch den die Linie nach Richmond-upon-Thames geht. Da wäre nicht nur Karsch in Sicherheit.
    Jetzt kommt der Chauffeur der Italienischen Delegation und verhandelt mit Amanda über eine Begegnung mit Mrs. Cresspahl von Auge zu Auge. Wieder läßt er sich nicht anmerken, daß er in ganz andere Häuser zu kommen gewohnt ist. Er deutet Wiedererkennen nicht an. Vor lauter förmlichem Benehmen ist er sich selbst im Wege. Er hält die Mütze in der Gegend des Herzens unter den Arm geklemmt, nun kann er mit der

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