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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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mußte Semig eine lange und umständliche Klage anhören über den Tierarzt, der neuerdings Semigs alten Beschaubezirk betreute. Es half ihm kein bißchen, daß er sich die Verleumdung eines Kollegen zu verbitten suchte (da kannte Semig nichts, arisch oder nicht arisch). Nach einer Weile hatte er die Hand am Mund, wie gewöhnlich beim Nachdenken, und dann saß er, um besser zuhören zu können. Der Kollege Hauschildt legte die gesetzlichen Vorschriften in der Tat eigenwillig aus. Der hatte offenbar eine Vorliebe für die Lebendbeschau per Telefon. Der verlangte von Methfessel am Telefon eine Äußerung über den allgemeinen Zustand der angelieferten Tiere, und es war wohl so, daß es Methfessel mittlerweile schwer fiel, sich für eine bestimmte Ansicht und Aussage zu entscheiden. Es war wohl so, daß Methfessel mittlerweile empfindlich war dagegen, daß Einer ihn anschrie, und sei es am Telefon. Dann sagte der Kollege Hauschildt einfach: Man zu, Methfessel! und hatte weder die Haltung des Tieres noch Lippen Nasenspiegel Kotbeschaffenheit Scham Scheide Euter Atmung auch nur von ferne vor Augen gehabt. Gewiß, auch Semig war erst nachts zu Methfessels Stall gefahren, wenn er andere Zeit nicht hatte, und hatte sich damit begnügt, die Tiere hochzujagen und wach zu machen. Aber er hatte allein in diesem Winkel fünfzehn Jahre praktiziert, und was er mit bloßem Auge sah, würde unter dem Mikroskop nicht viel anders sein. Der Kollege Hauschildt jedoch hatte die Tierärztliche Hochschule noch nicht lange hinter sich, und sollte neben dem Studieren viel Muße für das Aufziehen eines Nationalsozialistischen Studentenbundes gefunden haben, und es wurde überdies erzählt, er sei bei von Meyers nicht mit einem Gebärmuttervorfall zu Pott und Rande gekommen. Und was Methfessel erzählte von den Untersuchungstechniken Dr. Hauschildts, das stand nicht im Lehrbuch, und in der kurzen Zeit, nach der er das Ergebnis der Trichinenschau durchsagte, - da kann er doch man eben erst zu Hause angekommen sein! Der Kollege Hauschildt hatte sich offenbar selber eine Sondergenehmigung ausgestellt, die Beschau auf Trichinen nicht im Schlachtbetrieb vornehmen zu müssen. Und Methfessel fürchtete sich also vor dem Gesetz, und hatte Angst vor seinem Gewissen. Es war widerlich, wie gefügig die den Mann geschlagen hatten, und wie feige. Denn Methfessel wollte nicht in Gneez vorstellig werden. - Ich bin nicht in der Partei: sagte er, und wußte unbestreitbar, daß Dr. Hauschildt in der Partei war und daß er und der Kreisveterinär einander in einem fort in der Tasche saßen, entweder in benachbarten Seegrundstücken oder gemeinsamen Segelbooten oder im Ratskeller, das war nicht deutlich, und Methfessel war es augenscheinlich schon zuviel, daß er das alles wußte. Semig sollte das Fleisch nach Gneez tragen, nicht er. - Mein lieber Herr Methfessel: sagte Semig, und August hätte hören sollen, daß das nicht die Herablassung von früher war, mit der Dr. Semig dumme Fragen oder zu verständnislose Kürzungen am Honorar abgewiesen hatte. Aber Methfessel wollte sich auf fremde Hilflosigkeit nicht einlassen und glaubte die Sache vom Halse zu haben und ging mit den feierlichen Worten: Auf Ihr Gewissen is es nu, Hä Dokte! Auf dem Hof machte er einen vorsichtigen Bogen um Rex, obwohl der ihm fast die Pfote angeboten hätte. Rex hieß der Schäferhund, den die Semigs seit dem Frühjahr hielten.
    Vorerst hatte Methfessel nur davon, daß es in Jerichow hieß, ihm sei es einen ganzen Braten wert, wieder gut Wetter bei dem Juden zu haben.
    Der Tierarzt hätte sich gern ein paar Tage bedacht, aber wenn ihn nicht seine Auffassung von seinem Stand angestoßen hätte, so hätte es die warme Jahreszeit getan. Er schrieb einen etwas privaten Brief, der einer Abheftung von Amts wegen zur Not hätte entgehen können, und schickte den am gleichen Abend mit Methfessels Fleisch expreß und eingeschrieben nach Schwerin, und wirklich galt er da immer noch als der Ehemann von Dora Köster und wurde in der behördlichen Weisung an den Kreisveterinär in Gneez überhaupt nicht erwähnt. Da stand alles »nach der Darstellung von Herrn August Methfessel Schlachtermeister zu Jerichow«. Und Methfessel wurde vorgeladen nach Gneez und unterschrieb ein Protokoll und bedankte sich bei den Beamten, ein wenig getröstet, weil Recht und Hygiene vielleicht eben doch noch galten in Deutschland. Und vor dem Bahnhof von Gneez nahm S. A. in Zivil ihn hopp.
    Nun war Methfessel traurig

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