Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
geworden. Bei seiner Rückkehr nach Jerichow fand er sein Kühlhaus ausgeräumt vor, denn die Bakteriologen in Schwerin hatten in der von ihm eingelieferten Leber Salmonella dublin festgestellt, Fleischvergifter. Entschädigung, nichts da! Und Methfessel war nun so weit, daß er für passend ansah, daß der Akademiker Semig wieder einmal nichts abbekommen hatte. Die Bande hielt eben zusammen. Er wollte Semig die Ruhe auch gönnen, bis er nach Fürstenberg kam, wo Ossi Rahn auf ihn wartete. Nach einer Woche war Methfessel fast wieder heil und hätte auch von neuem die Kraft gehabt, zu schlachten, und mochte das nicht. Dr. Hauschildt kam nun sehr pünktlich an und schrie über jede Minute, die er warten mußte, und besah sich das lebende Vieh nicht allein, sondern zusammen mit einem Praktikanten, der ihm ein ordnungsgemäßes Verfahren bescheinigen konnte. Und wenn der Tierarzt nun auch keinen Schnitt mehr vergaß bei der Totuntersuchung, er ließ sich eben viel Zeit dabei und veranstaltete regelrechte Unterrichtsstunden mit seinem Studenten, und so hatte Methfessel sich das nicht gedacht. Und nun war es Methfessel, der in Gneez wegen der Befunde anrufen mußte, und Frau Hauschildt wußte sehr oft nicht zu sagen, wo ihr Mann war oder wie die Untersuchung denn ausgefallen war. Und Dr. Hauschildt benutzte nun bei Methfessel recht gern den quadratischen Stempel, der nur für bedingte Tauglichkeit des Fleisches galt, und es war vorgekommen, daß er den dreieckigen nahm, den für die Untauglichkeit, und Methfessel hatte die Lust nicht mehr, jetzt noch zu beweisen, daß die Viehhaltung in diesem Winkel unmöglich von einer Woche auf die andere hatte um so viel schlechter werden können. Der runde Stempel war bei seinem Fleisch die Regel gewesen. Methfessel war schwermütig geworden. Wenn die Viehtransporter an Schlachttagsmorgenden ankamen, stand Methfessel auf seinem Hof und hielt den Kopf wie ein Tauber, als habe er einen Schlag vor den Kopf bekommen und nicht der Ochse, den man auf ihn zuführte.
Und wat wier dat für’n Kierl!
Dat rode rode Gesicht, un de hellen Hår. Brömsich.
So blond as he is de ganze S. Å. nich.
Da kamen die Wagen mit den Schweinen an, und sie waren schläfrig von der Fahrt, freundlich an einander geschmiegt, und nun stand Methfessel da und sah bloß zu, wie seine Gesellen die entsetzten Tiere mit ihren Besen auf die Tür des Schlachtraums zutrieben. Da er ausfiel, brauchten die Gesellen länger, und die Schweine hatten Zeit, das über die Schwelle gelaufene Blut ihrer Genossen zu wittern, und Methfessels Anlieger beschwerten sich über das klägliche Geschrei. Anfangs war er noch mit hineingegangen, wenn auch als Letzter, und es war rasch, nach ein paar hohen spitzen Schreien, still geworden. Dann aber war Methfessel wieder sofort aus der Tür gekommen wie dösig, ein großer kräftiger Mann mit derben Armen, schweren Schultern, gedrungenem Kopf, der ein blutiges Messer in der Hand hält. Er schüttelte den Kopf, er biß sich in seinen blonden Schnurrbart, er war nicht bei sich. Und er ging nicht ins Haus, er versteckte sich in der Holzkammer, und nach einer Weile gaben die Gesellen es auf, ihn zu holen. Eines von Else Pienagels Fenstern ging hinaus auf Methfessels weitläufigen Hof, und sie hatte in diesem Herbst oft Besuch, der zu nichts kam, als um am Fenster zu stehen, wenn bei Methfessel Schlachttag war.
Also wurde eine Zeit lang wenig Fleisch von Rind und Schwein gegessen in Jerichow, einmal weil Methfessel keines hatte, und zum anderen, weil Schlachter Klein schon zu lange als der zweitbeste gegolten hatte und dies Vorurteil sich hielt. So kamen viele Hühner früher ums Leben, als ihnen zugedacht war, und Kaninchen auch.
Nur bei Cresspahls war es noch anders. Lisbeth war etwas aufgefallen an den halben Schweinerücken, als Methfessel sie noch an seinen Haken im Laden zu hängen hatte. Die Rücken waren so gekrümmt. Über den Wirbelknochen waren kleine Grübchen, wie bei den Menschen auch. Wie bei Gesine auch. Lisbeth hatte mit einem Male eine Abneigung gegen Fleisch.
Wir essen die Tiere, und wir töten sie dazu. Es ist nicht recht.
Na, Lisbeth. Wistu spårn?
Sparen wäre gar nicht unklug, Cresspahl.
Also kam bei Cresspahls nur Fleisch auf den Tisch, wenn er darauf bestand, und sie aß nicht mit.
Jetzt fängt die New York Times wieder an mit ihrer Art von Wohltätigkeit. An den möglichen und unmöglichen Stellen fügt sie die Aufforderung ein: Gedenkt der Bedürftigen! und
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