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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Building, das unter seinen Zöpfen aus Licht verdunstet. Coney Island, quirlendes Buntlicht. Scheinwerferketten auf den Expreß-Straßen. In Dunst gewickelte Blaulampen. Langes Taxifahren auf den Rollbahnen, Warten an den Einmündungen. Einmal fällt der Blick neben der Tragfläche in einen tiefen Tunnel, in dem Autos wimmeln. Im Briefkasten für die Passagiere dieses Fluges steckt kein Zettel unter dem Buchstaben C. Der Stadtbus tritt auf der Stelle. Die Grabsteine links und rechts flackern unterm Stadtlicht. Der Tunnel, der verkachelte Hades unterhalb des Flusses. Im Bahnhof der Fluggesellschaften werden Nummern für Taxis ausgegeben. Diese Stadt hält sich nicht mehr lange. Was ist schon an First Avenue. Diese Stadt hält sich vielleicht noch zweihundert Jahre. (Der Pförtner im Erdgeschoß des Foshay-Turms stand so bekümmert, so vorwurfsvoll, als sei er Foshay, der am Ende alles verlor, Aktien und Bargeld und Turm.) An der 96. Straße kommen die Bahnkörper unter der Park Avenue hervor: die Reichen leben auf Stelzen. Nicht weit von hier, von diesen verrotteten Autos, dem schleimigen Abfall auf dem Bürgersteig, 1040 Fifth Avenue, wohnt neuerdings die Witwe des ermordeten Präsidenten Kennedy. Die Tochter geht zur Schule um die Ecke. Als die Pläne Mrs. Kennedys, da einzuziehen, die Öffentlichkeit erreichten, bekamen die Bewohner des Hauses unerhörte Angebote für ihre Appartements, für nichts als die Chance, im Lift den Männern vom Geheimdienst zu begegnen. (Ein Ehepaar, das ohnehin aufs Land ziehen wollte, erzielte durch den Verkauf seiner Wohnung einen Reingewinn von zehntausend Dollar.) Der Central Park ist vollends schwarz. In der Mitte ist nicht nur ein Pferdestall der Polizei, da ist auch ein Schieß-Stand der Polizei. Einmal Minneapolis und zurück. Vielleicht hat das Kind den Tee warmgehalten und die Zeitungen auf den Tisch gelegt, zusammen mit einem Zettel DON’T CHANGE THE TIME OF THE ALARM . Denn da mag das winddurchfegte Stadion Singer Bowl in Queens gestern voll gewesen sein mit streikenden Lehrern der öffentlichen Lehranstalten, für Marie ist morgen Privatschule. Nun wollen wir die Seufzerspalte lesen. »Da meine Frau mein Bett und meinen Tisch verlassen hat, komme ich für ihren Unterhalt nicht auf.«
     
    – Gesine, wach auf. Wo warst du.
    – Vor ein paar Jahren.

26. September, 1967 Dienstag
    »Obwohl für die nächste Zeit mildere Tage vorausgesagt sind, war doch ein Hauch von Herbst in der Luft. Und er war nicht allen willkommen.
    ›Sieht aus, als hätten wir nun tatsächlich Herbst‹: sagte ein Tankstellenbesitzer in Upper Montclair. ›Ich weiß nicht, wie viele Winter ich noch aushalten kann.‹« ©
    Alt ist Cresspahl nicht geworden.
    Immer von neuem das weiche weißgraue Licht über den auffällig grünen Baumpulks, da wo früher das Bruch war. Er war nicht mehr gut auf den Augen. Immer wieder der Geruch des ungeschwächten frischen Laubes mit dem Westwind. So viel kränkende Hoffnung. Jetzt war da ein brauner Fleck aus spillerigen Stangen in der Landschüssel, und der Geruch von Moder, bis der Boden anfriert.
    Die Stadt war klein wie vor Jahrzehnten. Er konnte sie abgehen, ihr Maß nehmen, Kinder ansehen. Die anderen waren ja tot.
    Vor Tagen war eine Mütze Schnee gefallen, daß es lange gebraucht hätte zu einem Weiß, wär es nicht versiegt. Vor dem Postamt von Jerichow standen zwei Vierjährige und sammelten die Flocken in der Kappe des Größeren, zeigten den Vorübergehenden, auch Cresspahl: Schnee.
    Winter. Die Enkelin von Kern hatte ihm erzählt von einem Winter, als das Eis in hohen Plattenstapeln aufgeschoben war vor der Steilküste. Man hatte auf der Ostsee gehen können. Für Elke Kern war dies ein Erstes Mal gewesen.
    Das Stück Acker hinter der Milchbank, das seine Frau einmal den Garten genannt hatte, das wollte er noch einmal umgraben. Als seine Frau tot war, verrottete der Zaun, die Hühner fraßen den Garten auf und verscharrten ihn. Dann hatte er den Draht weggerissen.
    Man kann auch auf den Friedhof gehen, will man so viel als möglich ein Letztes Mal tun. Aber er kannte die Frau nicht mehr.
    Jakob, den kannte er noch. Zu Jakobs Grab ging er. Mit Jakob unterhielt er sich. Na, Jakob. Und du? Ja Cresspahl. Sühst, ich lieg hier zum Ansehen. Creutz hat sich das Grab gerichtet als Ausstellung, und nun führt er die Kunden immer zu mir, und jedes Mal sagt er: So schön möcht ich auch mal liegen. Und dann kaufen sie.
    Be seeing you, Jakob.
    Wo der Ofen die

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