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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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verändern, der hieß so, Albert Gosling, Patriot und Denunziant.
    So verbringen wir nicht alle Abende. Am Montag lud uns D. W. zu den Tschechen ein, und ich gebe dir recht, immer von neuem verwechselt er die Person mit der staatlichen Herkunft. Für ihn bin ich Deutschland, das vorige und die beiden jetzigen, für ihn habe ich manchmal kein Gesicht am Kopf sondern nationales Pigment, ihm bin ich verantwortlich für die westdeutsche Bundesbahn und für die westdeutschen Nazis. Es ist aber nicht Mangel an Hygiene, aus dem ich an seinen Tisch gehe, du mit deiner Hygiene. Ich möchte wissen was er außer dem von mir will.
    Hat der Bericht über die Schrapnellbomben auch in den dänischen Zeitungen gestanden? In der New York Times heißt es, daß einer Pressekonferenz in Hanoi auch zwei kleine (tiny) Kinder vorgeführt wurden, Überlebende des Angriffs vom 27. September, eins so fürchterlich im Gesicht zugerichtet, daß es nicht mehr sprechen konnte. Darüber kann Marie sich nicht beruhigen. - D. E. muß etwas dagegen tun: sagt sie.
    Am Wochenende kannst du uns nicht anrufen; wir sind in Vermont. Deine Mutter, am Telefon klingt sie friedlich. Mr. Robinson hat nach dir gefragt. Und so mit schönen Grüßen
    Wer dies Band unberechtigt abgehört hat, wird freundlich gebeten, es frankiert zurückzuschicken an Gesine Cresspahl, Apartment 204, 243 Riverside Drive, New York, N. Y., Telefon 212-749 28 57.
    Das gilt auch für dich, D. E. Aber du solltest ihm etwas von deinen Sachen erzählen.
    Und weil du es hören willst, sage ich es dir: Wenn de annern nich to Hus sünd, bist Du de Best.
    Eben meldet die Rundfunkstation der New York Times eine Nachricht für dich: Im zweiten Spiel der Weltserie schlugen deine Boston Red Sox, dank Yastrzemski, die Kardinäle von St. Louis Fünf zu Null. Du wirst ausrechnen können, was das bedeutet.

6. Oktober, 1967 Freitag
    Gestern in Miami betraten fünf maskierte Pistolenbesitzer das Haus der du Ponts (33 Zimmer, Plätze für Golf, Tennis, Schwimmen) und verließen es nach gemütlichen zweieinhalb Stunden mit Werten bis zu anderthalb Millionen Dollar, immer höflich. Als den gefesselten du Ponts kalt wurde, bekamen sie Decken übergelegt, und als es du Pont am Bein juckte, kratzte ihn einer der Herren. Die du Ponts sprechen nicht unfreundlich von ihnen.
    Bei uns, im Bankendistrikt von Manhattan, sind staatliche Kassenscheine auf 1,7 Millionen Dollar abhanden. Bei uns, in einer Niederlassung der Telegrafengesellschaft Western Union in Brownsville, Brooklyn, erschien gestern vormittag ein gutgekleideter Mann (schwarzer Filzhut, Sonnenbrille, automatische Pistole) und bat den Büroleiter um eine Anweisung über 12 500 Dollar. Sein Mitarbeiter kam noch einmal von der Bank (2590 Atlantic Avenue) zurück und ließ sich das Dokument ordnungsgemäß girieren. Die Bank fragte telefonisch nach bei Western Union, und Western Union, die Automatik an der Schläfe, sagte die Anweisung gut. Jetzt mußten die Kassierer der Bank zusammenlegen für den freundlichen Kunden, der mit einem Lächeln um seine prächtigen Zähne auf sein Geld wartete. Das wäre so glatt nicht gegangen, hätte nicht das Neujahrsfest der Juden die Straßen so leer gefegt von Menschen. Diesmal findet die New York Times kein Wort des Tadels, was die Technik des Raubes angeht. Die New York Times amüsiert sich. »In Diebeskreisen hatte man heute alle Hände voll zu tun«: sagt sie.
     
    – Da konnte sie doch nicht klagen in Richmond: sagt das Kind von seiner Großmutter, »deiner Mutter«.
    – Kein Vergleich mit Richmond 1932. Was da vor Gericht kam, waren Diebstähle, betrunkenes Randalieren, Überfahren der gelben Linie auf der Landstraße, Kraftfahrzeugvergehen überhaupt.
    – Und die Schönheiten Richmonds: sagt das Kind, advokatisch.
    – Und die tüchtige Stadt Richmond, lieblich in den Arm genommen von einer Windung der südlichen Themse, auch gewürgt zwischen ihr und der Sperre des Berges von Richmond, so daß sie nicht auseinanderlaufen konnte in Spekulationssiedlungen und im Innern einen Stein sorgsam auf den anderen zu setzen hatte, Bürgerhäuser und Paläste in Terrassen angeordnet um den Richmond Hill, eine Marktstadt, Stadt der Gärtner, Sterbeort der Großen Elisabeth, Namenspatron von Städten in aller Welt, Richmond, Kentucky, Richmond, Indiana, Richmond, Virgina …
    – Meine Schularbeiten hab ich gemacht: sagt das Kind, auf Englisch, nicht unversöhnlich.
    – Sie gab sich Mühe, unsere Lisbeth

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