Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
weiche Luftzug kam von der Tür, die Papenbrock nun wieder aufgeschlossen hatte, weil er von dieser Bande nichts für sein Eigentum zu befürchten meinte. Das Feuer und die Funken im Qualm am anderen Ende der Stadt kamen von den zusammengeworfenen Fackeln, und der Gesang aus der niedrigen Nacht kam auch von Papenbrock, der wohlig brummend sich die Treppe hochtastete,
Ich hab mich ergeben
mit Herz und mit Hand
dir Land voll Lieb und Leben
mein teures Vaterland
und während Cresspahl seine Tür verriegelte, nahmen seine Gedanken unverhofft Englisch an, so wie er es sprach: Owright. Wir werden uns nicht ergeben. Keine Hand, kein Stein, kein Bein. Ob ihr euch nun treu oder teuer nennt, ihr wollt was von uns, und wir werden es nicht liefern. Das Kind war ein Mädchen, so daß er Lisbeth wiederum etwas schuldig war; aber mochte das Kind ihn nicht erkannt haben, es hatte ihn angesehen.
– Deine Mutter, Lisbeth: sagt Marie.
– Erzähl doch mal von ihrer Seite her.
– Das kann ich nun nicht.
– Kannst du nicht denken was sie dachte?
– Und nicht wie. Ich verstehe sie nun nicht mehr.
Das war heute am späten Nachmittag, als die Fähre schon halb zurückgelaufen war in den Hafen von New York. Marie war abgerufen worden von einem Herrn aus Japan, der ihr mit ganz geschmeidigen Entschuldigungen seine Kamera in die Hand gab, und Marie hatte ihn und seine Familie mit fachmännischen Anweisungen und Handzeichen zurechtgestellt vor den Türmen Manhattans, bevor sie die Schwingungen des Schiffbodens in weichen Knien auffing und den Besuchern den Beweis ihrer Weltreise in die eigene Kamera drückte. Auf dem Weg an Land, über die Brücken und Treppen und die seitliche Rampe am Fährgebäude herunter, hat sie den freundlichen Blicken der Touristen dreimal geantwortet, nicht mit Lächeln, nur mit einer angedeuteten Verbeugung aus den Schultern heraus und aufmerksamen Augen. - Welcome a Stranger: sagte ich, und obwohl sie das Zitat von den Bussen der Verkehrsbehörde unfehlbar erkannte, erwiderte sie fast ernst, fast übermütig: Gewiß, Gesine. Heiße einen Fremden willkommen.
22. Oktober, 1967 Sonntag
Fang an, Gesine.
Fangt ihr doch an.
Warum warst du gestern nicht bei der Demonstration in Washington.
Weil ich daran nicht glaube. Die Politik des Präsidenten in Viet Nam wird nicht durch die Proteste von Minderheiten geändert.
Du wolltest das Geld für den Bus sparen.
Die Politik des Präsidenten wird nicht einmal vom Präsidenten entschieden.
Dos Passos.
Nein. Baran und Sweezy, Monopolkapital.
Es waren fünfzigtausend Demonstranten.
Gegen zweihundert Millionen Bürger der U. S. A. Und Präsident Johnson gab ein Mittagessen.
Die New York Times gab für die Veranstaltungen hier und im Ausland ein Viertel ihrer Ersten Seite, und im Innern noch einmal fast zwei.
Die New York Times berichtet eben auch über tatsächliche Vorfälle.
Publicity in der New York Times könnte die Meinung der Nation verändern.
Wir wissen ja nicht einmal, was die Zeitung mit ihren Fotos vorhat. Das Bild von den drei Bundessheriffs auf der ersten Seite, die mit ihren weißen Knüppeln auf einen schon liegenden Menschen einschlagen, soll es die Empörung der Abonnenten hervorlocken? Das Bild daneben von den brüllenden Jungen, soll es hinweisen auf den unbürgerlichen Bart, die tarnende Sonnenbrille, den vom Schreien verzerrten Mund?
Die Bekanntmachung der Opposition gegen den Krieg in Viet Nam durch die Nachrichtenmittel, wäre da nicht eine Chance für die Opposition?
Eine Chance.
Für dich muß bereits eine Chance garantiert sein, nicht wahr.
Ein wenig.
Hattest du Angst vor den weißen Knüppeln, Gesine. Gib zu, du bist erleichtert, daß du nun nicht unter jenen warst, die von Militärpolizei mit Gewehrkolben aus dem Pentagon getrieben wurden, die Treppen hinunter. Das Blut auf den Treppen, deins ist es nicht.
Als ein Krüppel kann ich für das Kind nicht sorgen.
Das Kind, das Kind. Deine patentierte Entschuldigung.
Meine patentierte Entschuldigung.
Du fürchtest dich vor dem Gefängnis.
Wem nütze ich in einem Gefängnis. Ja, ich hätte Angst vor dem Gefängnis, vor jedem, in jedem Land.
Der Schriftsteller Norman Mailer wurde gestern am Pentagon verhaftet.
Wegen »technischer Mißachtung« einer Polizeisperre. Wetten, er ist längst wieder zu Hause in Brooklyn Heights?
Er hat sich zu erkennen gegeben als Gegner der U. S. A.-Politik
in Viet Nam.
Außer dem hat er seinen Beruf ausgeübt: demnächst wird er
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