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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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anzunehmen, daß Cresspahl am Morgen des Sonnabend aus Jerichow weggegangen war. Mit dem Kind.

27. Februar, 1968 Dienstag
    Das Weiße Haus läßt sagen, Präsident Johnson sei überzeugt, es seien dem Kongreß alle Tatsachen in der Tonkin-Sache mitgeteilt worden, bevor die Abgeordneten der Ausweitung des Krieges in Viet Nam zustimmten. Senator Fulbright glaubt es noch immer nicht.
    Das Pentagon hat in Saigon über die neue Pressezensur sagen lassen, daß die Zahl der täglichen und wöchentlichen Toten davon nicht betroffen sein werde.
    Louis Schein, Immobilienmakler in der Bronx, soll einem Schwurgericht sagen, ob er von John (»Radau«) Ardito mit dem Tode bedroht oder verprügelt wurde, wegen eines Darlehens von $ 5000. John Ardito soll in der Mafiafamilie von Vito Genovese ein großes Sagen haben, und Louis Schein mag nichts sagen. Lieber will er die Strafe wegen Mißachtung des Gerichts als die Strafe von der Mafia. Er mag nicht einmal sagen, ob er Ardito kennt.
    Ende Dezember, zwei Tage nach Weihnachten, kam Cresspahl zurück nach Jerichow.
     
    – So kannst du es mit mir nicht machen! sagt Marie. Über Francine hat sie seit vier Tagen nicht sprechen mögen. Sie sieht Francine in der Schule, sie wehrt Erkundigungen mißmutig ab, wie etwas Taktloses. Nun muß etwas anderes her für die Abende. Sie scheint eifrig, aufmerksam; sie versucht etwas wegzudrängen.
    – Er hatte das Kind mitgebracht.
    – Wo er war, Gesine! Wo er war!
    – In Lübeck, auf dem Markt, gab es eine Zweigniederlassung der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, und die Hapag unterhielt einen Schnelldienst von Hamburg nach New York über Southampton und Cherbourg.
    – Du willst mich reinlegen. Cresspahl in New York?
    – Der Fahrpreis für einen Erwachsenen fing an mit 605 Mark, und damit war schon für einen sechstägigen Aufenthalt in New York bezahlt. Traust du ihm das nicht zu?
    – Gesine, ist es eine Wassertonnengeschichte?
    – Nein. Nur, über meine Mutter sprechen wir nicht mehr. Die ist inzwischen tot.
    – Ist sie in dem Feuer -? O. K. Ich will es nicht wissen. Ich versprechs.
    – Also New York ist nichts für Cresspahl?
    – Es wäre mir nicht angenehm. Es würde mir zu deutlich passen. Erst ein zufälliger Robert Papenbrock, danach noch dein Vater. Und dreißig Jahre später sitzen wir in New York. Es sähe so ausgedacht aus.
    – 905 Mark weniger für die Hapag.
    – Du willst mich testen, Gesine. Du hast neulich etwas vom Umsteigen nach Kopenhagen gesagt, an einem See, gegenüber einer Insel, und noch früher, daß in Lübeck ein britisches Konsulat war. Auf
dem
Schüsselbuden, siehst du wohl. Da wird auch ein dänisches gewesen sein.
    – An der Untertrave. Aber wenn er über Rostock fuhr, konnte er da in die Große Mönchenstraße gehen, da saßen die Dänen, und die Reichsbahn fuhr jeden Tag mit der Schwerin oder der Mecklenburg die 42 Kilometer nach Gedser, nach Dänemark.
    – Das verstehe ich nicht. War Deutschland nicht unter Diktatur?
    – Das war nicht was ich sagte. Von Verbrechern regiert und verwaltet.
    – Und eine Diktatur läßt Leute nach draußen?
    – Die Deutschen waren in der Mehrzahl zufrieden mit Hitler und Genossen. Sie waren nicht verdächtig, gleich zu Millionen aus dem Land zu laufen. Also gab es sogar einen Ausflugsverkehr Warnemünde-Gedser, ohne daß Einer einen Paß gebraucht hätte. Es genügte lediglich ein Ausflugsschein, der wurde an Bord für 25 Pfennig verkauft. Nur was das Geld anging, da waren die Ganoven auf dem Qui vive. Die Ausflügler durften nur bis zu zehn Mark bei sich haben, und nämlich in Münzen, nicht in Papier. Dann durften sie an Land in Dänemark, und die Dänen zwangen sie ganz gewiß nicht mit Gewalt, auf das Nazischiff zurückzugehen.
    – Warnemünde?
    – Wo die Warnow mündet. Ein Vorhafen von Rostock, damals. Da ging der Schnellzug aus Berlin aufs Schiff. Wenn es die Schwerin war, erst zwölf Jahre alt, nicht viel mehr als 3000 Tonnen, 106 Meter lang -
    – Eine South Ferry! Eine North Ferry!
    – Mit Salons für Raucher und Nichtraucher -
    – Es gefällt mir, Gesine.
    – Mit Schlaf- und Badekabinen, Veranden, Promenadendecks und einem großartigen Restaurant, denn die Fahrt dauerte zwei Stunden –
    – Du machst unsere South Ferry schlecht. Sie kann kein Restaurant haben bei 20 Minuten Fahrt. Keine Schlafkabinen.
    – Marie, das war das Schiff, das die Reichsbahndirektion Schwerin damals laufen ließ. Es ist nicht ausgedacht.
    –

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