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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ihm das zu?
    – Noch nicht.

28. Februar, 1968 Mittwoch
    Immer noch haben sie in Westdeutschland einen Greis zum Staatspräsidenten, der im Jahre 1944 Baupläne für Konzentrationslager unterzeichnet haben soll. Er glaubt nicht, daß er es tat; einen Eid könnte er nicht darauf ablegen. Ein amerikanischer Schriftensachverständiger hat die Signatur auf den Plänen als die des Staatspräsidenten erkannt. Ein bonner Student, der neben dem Namen des Staatspräsidenten in einer Ehrenrolle die Berufsbezeichnung »K. Z.-Baumeister« eintrug, wurde von der Universität gewiesen. Die Christlich-Demokratische Union, der die Sozialdemokraten beim Regieren helfen, antwortet auf Forderungen nach dem Rücktritt des Belasteten: Wer das verlange, wolle nur die Koalition unter Druck setzen und die Weichen für die Wahl einer anderen stellen; das ist der Stellenwert von Konzentrationslagern in der westdeutschen Politik; ein solches Land ist das, und Mrs. Ferwalter sagt: Sicherlich mußte jener das damals tun, gewiß hatte er eine Ehefrau.
    Mrs. Ferwalter hat einen Teil ihres Lebens verloren in den Konzentrationslagern der Deutschen; sie weiß es, spricht davon achtlos, wie andere vom Abitur. Sie ist eine gedrungene Person, breit in den Schultern wie früher ein Dienstmädchen vom Lande, das vor Arbeit nicht zum Leben kommt und ins Bett fällt wie ein Stück Fracht; Mrs. Ferwalter sollte gut schlafen können. Das kann sie nicht. Seit die Amerikaner sie in Südosteuropa fanden und freisetzten, ist sie unruhig, im Schlafen, bei den Verrichtungen des Haushalts, beim Reden, kann aus der freundlichsten Miene einen Ausdruck von Ekel nicht loswerden, hält ihre Augen verengert, die doch groß und sanft und zärtlich blicken können. Mitten auf dem Broadway, inmitten der eiligen Abendeinkäufer beträgt sie sich wie umgeben von verborgener Gefahr. Die Cresspahl, die Deutsche, ist ihr keine Gefahr, der stellt sie sich achtlos in den Weg, lächelt ungeschickt, geht mit ihr weiter, sieht sie manchmal von der Seite an wie etwas arg Widerliches, in einer anhänglichen und freundlichen Art. Guten Abend, Mrs. Ferwalter.
    Mrs. Ferwalter war mit Rebecca in der Bronx, bei einem Verwandten, der als Friseur arbeitet. Einmal macht er es für sie billiger; zum anderen versteht er es, Rebecca das Haar in Stufen zu schneiden, so daß es europäischer aussieht.
    Nicht das Deutsche an der Cresspahl, das Europäische gilt für Mrs. Ferwalter. Wenn man mit ihr von Österreich spricht, sie weiß doch, wo das Land liegt. Darin liegt Mauthausen. Mrs. Cresspahl bekommt nicht einmal ein blindes Gesicht, wenn von Tschechisch Budweis gesprochen wird, sie kennt die verlorene Heimat, auch den verlorenen Zipfel Slowakei, der jetzt von der Sowjetunion besetzt ist. Haben die die Juden an die Deutschen ausgeliefert, bevor sie ihren Aufstand machten, 1944? Wir dürfen danach nicht fragen. Mrs. Ferwalter ist nicht daran gelegen; ihr liegt an den Stiefeln der anderen, gelbes Leder, von unten bis oben mit Haken und Band verschnürt. Ist es europäisch? Es ist aus London, Mrs. Ferwalter. Sie ist sehr befriedigt. Sie schätzt an der Cresspahl, daß sie auch andere als die amerikanischen Schicklichkeiten kennt und es versteht, daß Rebeccas Mutter beleidigt sein muß, wenn des Kindes Geburtstag nicht beachtet wurde, und sei es einer Krankheit wegen. Gestern ist die Marie ja doch gekommen und hat ein Geschenk nachgeliefert, ganz wie es sich gehört in Europa. Und daß es eine Federtasche war aus der Schweiz! Die bekommt Rebecca aber nicht in die Hand, die wird Besuchern gezeigt und später hinter Glas im Schrank ausgestellt zum Zeichen dessen, daß der Ferwaltersche Haushalt die europäischen Ansprüche noch hochhält. - Von Saks Fifth Avenue! ruft Mrs. Ferwalter aus. - Da kaufen Sie wohl immer? Das abstreiten lohnt nicht, Mrs. Ferwalter glaubt es doch. Sie hält die Cresspahl für jemand aus »feiner Familie«, sie hat es gegenüber Prof. Kreslil erwähnt; auch solche Herkunft mag ihr bei der Freundschaft helfen. Es geht nun darum, daß die Federtasche aus Zürich kommt; daß die Cresspahl viel schreiben muß in ihrem Beruf und wissen, was gut ist zum Schreiben. Noch besser wäre es freilich ein Geschenk aus Deutschland gewesen; dort ist das Handwerk am gründlichsten.
    Mrs. Ferwalter will es dem westdeutschen Staatspräsidenten nicht anrechnen, daß er im Verdacht steht, Konzentrationslager gebaut zu haben. Für sie sind die guten Deutschen ohnehin entschuldigt. »Sie haben es

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