Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Sicherheitsvorkehrungen geschützt wird.
Da es aber nicht wahr ist, spricht Herr Enzensberger lieber rasch von der netten alten Dame auf dem Flug von Delhi nach Benares, auf der anderen Seite des Gangs. Auch sie trifft der Blick. Das sind allerdings schlechte Nachrichten für die Fluggesellschaft. Riesige Summen für die Werbung ausgegeben, und nun hält der Passagier Enzensberger sich nicht daran, womöglich nicht einmal das Flugpersonal.
Es ist ein wahlloser, blinder, nicht unterscheidender, kritikloser Blick. In Bausch und Bogen.
Es ist ein manichäischer Blick. Er kommt von den Anhängern der Lehre vom Dualismus zwischen dem Herrscher des Lichtreichs und dem König der Finsternis, zwischen Geist und Materie, aus welcher ungehörigen und tief bedauerlichen Mischung die Welt und der Mensch entstanden. Nach dieser Lehre sind Welt und Mensch nur zu retten, wenn die Lichtteile wieder von der Materie getrennt werden und ins Lichtreich zurückgehen. Dieser Prozeß verläuft bis zur endgültigen Reinigung im Weltbrand. Der Wissende kann ihn fördern, indem er sich schlicht der Fortpflanzung enthält. Es ist auch viel geholfen, wenn die Auserwählten verzichten auf den Genuß von Fleisch und Wein. Es ist ihnen angeraten, auf Arbeit zu verzichten. Besitz soll möglichst abgestoßen werden. Wer aber solch erlesene Kenntnisse nicht hat, wer Kinder hat und Fleisch ißt und säuft und arbeitet und zur Arbeit seine eigenen Produktionsmittel benutzt, auf den richten die Manichäer ihren Blick: so. Manichäisch.
Mr. de Rosny, Vizepräsident seiner Bank, reist arglos durch die Welt, und in Mexico, in Bangkok, in Rom (oder Stockholm) blicken ihm die Einwohner nach, alles alte Leute ohne Kinder, Mönche und Landstreicher, sämtlich besitzlos, Vegetarier und Abstinenzler. Manichäer.
Herrn Enzensberger freut der Blick nicht.
Wenn er uns das alles sagen muß; er wird uns doch deswegen bedauern.
Herr Enzensberger sieht eine Verbindung zwischen dem blinden Blick der Manichäer und der Tatsache, daß er mit den Ansichten des Präsidenten Johnson nicht übereinstimmt. Es möchte ja Einer den Verdacht gehegt haben; dem sei ein Riegel vorgeschoben. Schlicht alles, was der Präsident äußert über kollektive Gaunerei und kollektive Schuld, es ist nicht im Sinne von Herrn Enzensberger.
Allerdings, er will es zugeben, auch die anderen Nationen plündern die dritte Welt aus. Für den Fall, daß der Vorgang seinem Publikum nicht bekannt ist, beschreibt er ihn.
Was Herr Enzensberger in den U. S. A. bewundert: die Arbeit dreier politischer Studentengruppen. Kaum ein Vergleich mit Europa.
Und er kann nicht die moralische Überlegenheit leiden, die manche Europäer gegenüber den U. S. A. zur Schau tragen, bloß weil ihre eigenen Reiche kaputtgegangen sind. Er kennt solche Europäer, und er kann sie nicht ertragen. Als ob es deren persönliches Verdienst sei. Es gibt solche Europäer, und sie sind ihm arg zuwider. Alles Quatsch und Heuchelei.
Aber persönliche Verantwortlichkeit für die Handlungen der eigenen Regierung, darauf möchte er bestehen. Das kann er uns nicht ersparen, da er es nicht sich erspart. So einen haben wir schon lange gesucht, der verantwortlich sein will für einen westdeutschen Staatspräsidenten, der einiger Baupläne für Konzentrationslager verdächtigt werden kann.
Wenn Herr Enzensberger sich erinnert, kommt ihm hier alles bekannt vor. So wie in den U. S. A. heutzutage war es in den mittleren dreißiger Jahren in Deutschland. Da kamen Staatsmänner und schüttelten dem Führer die Hand. Dergleichen geschieht auch in den U. S. A.
Zum Beispiel, daß die meisten Leute nicht glauben wollten, daß Deutschland sich auf die Erringung der Herrschaft über die Welt vorbereite.
Wie in den U. S. A. Dort haben Herrn Enzensbergers viele Amerikaner ihm gesagt, daß sie ihren Regierungen nicht die Absicht zutrauen, die ganze Welt zu beherrschen.
In Deutschland gab es Benachteiligung und Verfolgung einer Rasse. Wie in den U. S. A.
Das ist jetzt so Stücker dreihundert Jahre her, da stießen die deutschen Koggen ab von der Küste Afrikas und waren bis an den Rand beladen mit schwarzen Menschen, die sie gedachten zu Markte zu bringen in Hamburg und wohlfeil zu verkaufen als eine Kebse oder ein billiges Tier zum Arbeiten. Wie in den U. S. A.
Wo man alle Naselang einen Neger mit geschorenem Kopf durch die Straßen führt, ein Schild um seinen Hals: er werde sich nie mehr bei der Polizei über die S. A.
Weitere Kostenlose Bücher