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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Ruhe gelassen, hier machte Hauptlehrer Stoffregen einen von seinen unerfindlichen Unterschieden; ihr wurde ein Gespräch auf offener Straße nicht verweigert und nicht ein Gruß. Aber die Besuche blieben aus, und Aggie merkte an gleichsam überraschten, fragenden Blicken, daß die Jerichower es lästig fanden, auf die Dauer zu ihr und Brüshaver zu halten. Wenn sie ihn hatte im Untersuchungsgefängnis Rostock besuchen dürfen, war sie auch in ihre Klinik zu Besuch gegangen, und die Klinik hatte sie gern als Krankenschwester zurückgenommen. Sie wohnte jetzt mit ihren Kindern weit genug entfernt, in der rostocker Altstadt an der Jakobikirche; die Ausweisung hatte sie nicht mehr angetroffen und lief ihr dahin nicht nach.
    Die Kirchgemeinde Jerichow war inzwischen von einem Vikar versorgt worden, der aber nebenher noch seine Hilfspredigerstelle in Rande nicht im Stich lassen wollte, so daß Gottesdienst in Jerichow nur alle vierzehn Tage abgehalten wurde. Vikar Pelzer ließ allgemein für Verfolgte und Bedrängte beten, nicht namentlich für Brüshaver, einmal aus Vorsicht, zum anderen aus Mißbilligung für Brüshavers Mangel an Vorsicht, und mit Pelzer war Jerichow nicht zufrieden. So ging das Stück nicht weiter. Dann kam Wallschläger.
    Wallschläger, der Strahlende. Wallschläger, der Retter. Wallschläger, Verkünder der Freude, gerade mit Adolf Hitler zusammen und gleichzeitig ein Christ zu sein. Er tobte ein wenig, und die staatstreue Kirchenleitung hatte ihn schon von anderen Plätzen wegtun müssen. In Jerichow blieb er sechseinhalb Jahre. An dem Mann war nichts zu sehen. Er war schwer zu merken; Halbglatze, Hakennase, Breitmund halfen da nicht. Vielleicht lag es daran, daß er nicht möglich schien. So ausführlich, mit erhobener und auch schwankender Stimme wurde in Jerichow Freude nicht gezeigt, und hätte einer nach sieben Mädchen doch noch einen Jungen bekommen, oder einen kleinen heimlichen Haufen Geld. Wallschläger konnte sich schon wegen der Juden so anstellen.
    Wallschläger glaubte ernstlich, er habe die Gemeinde Jerichow eben noch retten können vor der sittlichen Verrohung durch jenen Brüshaver, und er arbeitete frohen Tones auf, was er für dessen Fehler hielt. Er machte es theologisch. Was nun der christliche Glaube überhaupt sei. Na? Aus dem Judentum stamme er nicht. Jesus habe ein jüdisches Verstehen des Alten Testamentes unmöglich gemacht, und wer ihn als jüdischen Vergifter unseres Volkes bezeichne, solle sich nur umsehen! Luther und Bismarck und Hindenburg seien Deutsche gewesen, und was für welche, und Christen. Nun lasset uns beten. Er machte es geschichtlich. Er erzählte etwas von einem Überfall in der Heide bei Mölln im Jahre 1638, und sogar Heimatforscher Stoffregen schüttelte den Kopf. Schon vor dreihundert Jahren seien die Juden Hehler und Auftraggeber für marodierende Soldaten gewesen! Und nun schlagen wir auf das Buch Richter. Er hatte begriffen, daß seine Gemeinde zu großem Teil von Landwirtschaft lebte, und machte es heimatverbunden. Die Juden seien schuld an der Hungersnot im Kriege in Schleswig-Holstein. Und eine Gruppe jüdischer Professoren erreichte 1914 das Abschlachten von Millionen Schweinen! weil es angeblich an Getreide und Kartoffeln gefehlt habe. Nicht noch einmal werden sie einen Sieg der deutschen Waffen verhindern können! rief er aus und bat seine Gemeinde, mit ihm Gott zu danken für die Erlösung von diesem Fluchvolk (Gott habe schon gewußt, warum er Jesus nicht in Deutschland auf die Welt geschickt habe). In Jerichow wollten sie das aber nicht hören. Mit den Juden waren sie durch. Tannebaum war es überdies von Auswärtigen besorgt worden. Hatten sie nicht versucht, sich Arthur Semig privat zu halten, solange es ging? Davon wollten sie nichts wissen. Es war ihre Sache, und ging einen hergelaufenen Jubelpastor nicht an.
    Wallschläger blieb nicht bei den Juden hängen, für ihn war danach die eigene Rasse an der Reihe; die Zahl der Kirchenaustritte nahm nicht ab. In einem Jahr waren es 4, im nächsten zehn. Es war schade um das Geld für die Kirchensteuer, immerhin zehn vom Hundert der Einkommensteuer plus zwei Mark. Es lohnte sich nicht für solche Art von Abendmahl, bei dem der Wein nicht das Blut alter Art war, sondern das der nationalsozialistischen Märtyrer bedeuten sollte. Wallschläger rief noch feurig Heil Hitler, wenn er in ein Zimmer trat, in dem Leute um ein Bett herumstanden, in dem einer gestorben war. Auf die Güter wurde er nur zu

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