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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Nottaufen gerufen. Nicht einmal Pauli Bastian war der Neue recht. Er kehrte den Herren heraus, wo Methling in einer Art Kameradschaft gepoltert und Brüshaver höflich gebeten hatte; Pauli Bastian kündigte zum 1. Januar 1940, kam danach noch manchmal aus Rande zum jerichower Gottesdienst und setzte sich in die zweite Reihe, die Arme über der Brust verschränkt, ernsthaft den Pastor beobachtend, ein Sachverständiger mit Bedenken, ein unabhängiger Herr. Bastian hatte seinen Lohn mit Landarbeit aufgebessert, das Wetter hatte ihm das Gesicht recht würdig aufgefurcht, und in Jerichow hieß es nun zuweilen, in Betragen und Aussehen komme Pauli einem Pastor am Ende doch näher; er dürfe eben nur den Mund nicht aufmachen. Pauli war so erhoben von dem Gerede, er vergaß den Zusatz darüber. Von Wallschläger hieß es, da schlage mancher auf die Wolle, und kriege sie nicht rein, und sei dazu nicht angestellt.
    Cresspahl war nicht aus der Kirche ausgetreten. Er blieb Lisbeth zuliebe; und es mochte zwar Wallschläger die Kirche sein, Brüshaver war es auch.
    Cresspahl hatte mit Alwin Paaps Hilfe eine Ecke des Wohnhauses zu einer kleinen Werkstatt gemacht, die für Reparaturen an Möbelstücken ausreichte. Alwin Paap waren die sechs Wochen gut bekommen, in denen er Herr über Haus und Grundstück gewesen war, er kam sich weniger bedienstet vor und begegnete den Kunden nun aus eigenem so fest und selbstbewußt, wie Cresspahl ihm das für die Zeit seiner Abwesenheit angeraten hatte. Alwin war es gelungen, ein Mädchen zu finden; wenn Einer nun auch noch etwas weiß von der Kraft, die er am Leibe hat, ist ein leicht schief stehender Unterkiefer nicht zu schlimm. Alwin war unters Dach gezogen, in die östliche Giebelstube. Deren Fenster war vom Friedhof nicht zu sehen, geschweige denn vom Pfarrhaus. Dennoch hatte Wallschläger sich das Eingreifen nicht versagen mögen. Er war in das Haus gegangen zu dem Mann, der ihn auf dem Ziegeleiweg ansah wie einen Fremden und regelmäßig grüßte wie aus Versehen, wenn er grüßte; er wollte mit dem nicht etwa über den Tod der Frau sprechen. Er war verblüfft, mochte gar nicht glauben, daß die beiden sich kaum abwandten von ihrer Arbeit, ihm ein Kantholz vor die Füße fallen ließen, einen Sitzplatz nicht anboten und an eine Unterredung in einem Wohnzimmer offenbar noch weniger gedacht war. Wallschläger rief mit strahlend erhobener Stimme, daß er auch einmal jung gewesen sei. Er war um die Fünfzig, grauhäutig, bekam oft Schaum auf die Lippen. Aber er könne nicht dulden, daß Cresspahl -! Cresspahl wandte sich halb um und betrachtete den Besucher. - Is dit Ehr Hus? fragte er. Er nahm sich nicht die Zeit, auf eine Antwort zu warten, und Wallschläger mußte sich gefallen lassen, daß ein Tischlergeselle ihn auf den Flur, an die Treppe brachte und die Tür hinter ihm zuschlug. Alwin Paap hielt jetzt den Kopf hoch und sah so groß aus, wie er war. Cresspahl hatte ihm erlaubt, daß er sein Mädchen mitnahm ins Giebelzimmer, und nun wollte ein Pastür von ihm verlangen, daß er sich mit Inge Schlegel im kalten Frühjahr auf die nasse Erde legte! Alwin war neuerdings nicht gesonnen, andere Leute in seine Sachen hineinreden zu lassen, und schon gar nicht in den Termin einer Eheschließung. - Du måkst di: sagte Cresspahl, als er zurückkam, und es war eine von den wenigen Gelegenheiten, bei denen Herr Paap doch noch rot wurde.
    Danach mußte Wallschläger wegen aller Naturallieferungen zu Michaelis eigens einen Zettel schicken, und zu den anderen auch, und wegen der Barabgaben an die Küsterpfründe desgleichen. So taten es viele in Jerichow, und gelegentlich kam Wallschläger die Frage bei, ob er am Ende etwas falsch anstellte.
    – Bißchen viel Kirche: sagt Marie.

2. März, 1968 Sonnabend Tag der South Ferry
    Gestern ist der westdeutsche Staatspräsident, Heinrich Lübke, im Fernsehen seines Landes aufgetreten. Er sagte aus, er könne sich nicht daran erinnern, im Reich der Nazis Baupläne für Konzentrationslager unterzeichnet zu haben. Auch nicht daran, daß er sie nicht unterzeichnet hat.
    Der Generalsekretär der Christlichen Demokraten, deren Mitglied Herr Lübke ist, hat den Mann angegriffen, der die Sache noch einmal in seiner Illustrierten aufgebracht hat. Der sei ja ein begeisterter Anhänger Hitlers gewesen.
    Wann Cresspahl damit anfing, habe ich zu fragen vergessen; im September 1939 arbeitete er schon einige Monate für die britische Abwehr.
     
    – Das paßt mir

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