Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
gekauft.
– Erpreßt und gekauft und sicher. Nur daß er sich aus eigenem entschlossen hatte und seine Freiheit zuverlässig behalten hatte.
– Du; ich würde es für mich behalten.
– Das tu ich auch. Jakob wußte es; D. E. weiß es. Jetzt du.
– Es ist so etwas wie ein Skelett im Wandschrank.
– Für mich nicht. Es ist meines Vaters Sache; jedem mag ich sie nicht zeigen.
– Fünf Jahre fahren wir nun auf der South Ferry, und niemals haben wir einen Sturm erwischt! Der von gestern hätte gut auf den Sonnabend fallen können. Auf der South Ferry in einem Sturm, ich wünsche es mir.
3. März, 1968 Sonntag
Die Westdeutschen haben Robert Mulka, ehemals Adjutant im Konzentrationslager Auschwitz, der Beihilfe am Mord von 3000 Menschen überführt, aus dem Gefängnis von Kassel freigelassen, wegen Krankheit. Die Times kam ins Haus mit zwei Beilagen griechischer Anzeigen. In New Haven waren Church Street und der Campus der Universität leergefegt von hartem Wind, 8 Grad unter Null. Jetzt liegt über dem Riverside Drive eine schmale Schale Mond auf dem Rücken. Der Himmel ist fast schwarz.
»Lieben G. C.,
mit der Hand geschrieben, dir zuliebe. So willst du Briefe, die Tochter von Cresspahl. Dieser liefe in der Maschine nicht schneller, womöglich gar nicht, weil die standardisierten Schrifttypen eine Objektivität angeben, die fehlt. Wie immer überlegt, Handschrift mildert die Umstände. Das ist nicht was du meinst.
Ich werde das Wort nicht gebrauchen. Nicht weil es mir zu ungenau wäre, sondern, bei dir hat es ausgedient. Inzwischen ist es dir so verächtlich, du benutzt es wieder, wenn du spielen willst in der fremden Sprache, und die Etymologie spielt noch mit. Denn im Englischen hat es einen lateinischen Vorfahren, lubēre, libēre, der nur darauf aus war, daß eine Freude, ein Vergnügen, eine Gefälligkeit erwiesen wird. Also sagst du auf einen nicht angenehmen Vorschlag: I’d love to. Doch das tust du; und tust das andere dann nicht. Es gefällt mir.
Nicht daß ich mich drücken will. Du ziehst mich auf mit meiner Vorliebe für akkurate Worte; in Gedanken benutze ich doch das Wort, das du nicht hören willst, das ich zu sagen andere Gelegenheiten nicht hätte. Wie dich stört es mich, wenn es eingepaßt ist in das Syndrom HabenHabenHaben, ob nun bezogen auf Konsumgegenstand, Person oder Leben. Ertragen kann ich es, wenn es Vergangenheit sichert. In einem literarischen Buch könnte ich es hinnehmen, wenn es angewandt wird auf einen Toten, der davon nichts mehr hat, der von der Rückzahlung befreit ist, ob nun in Geld, Gunst, oder in der Sprache selbst. Es sollte doch wohl ein altes Buch sein. Kurz, und nicht ausreichend, ich kann das Wort brauchen für die Summe der Beziehungen zwischen Person und Person; Beziehungen, die Geschichte enthalten, die unterhalten werden, deren Stillegung einen Teil der Person abschaltet. Gewiß ist da Bedürfnis, Eigensucht jedoch könnte da nicht überleben; ein gekoppeltes System von Person und Person braucht Ernährung allseits, wechselwirkend, rückkoppelnd.
Dieser Weg um das Wort herum hat mich 29 Minuten gekostet. Ich schreibe auch das hin, und du lachst.
Du sollst nicht mich heiraten; du sollst mit mir leben. Von Sollen sprichst du; ich meinte Wünschen.
Es ist Anhänglichkeit. Nicht solche wie Klothilde Schumann meint. Sie sagt mir die Eigenschaft nach als Zimmervermieterin in Ostberlin, weil sie einmal ohne zu klopfen hereinkam und Eva Mau mit mir von Klothildes Sofa fiel. Es ist auch solche Anhänglichkeit. Mehr aber, daß ich G. C. in allen Zuständen vertrage. Das ist keine Verallgemeinerung, sondern eine Addition aus beinahe sechs Jahren. (Wende nicht ein, du wärst eben verträglich.) Es gibt nur ein Mal, da konnte ich dein Gesicht nicht aushalten. Das war in der vorigen Woche, in deinem Fieber, als du dich von einem Kinderarzt behandeln ließest und noch im Schlaf Befehle erließest gegen Krankenhäuser und auch das, in das ich dich hätte bringen mögen. Ich mochte daran noch den Eigensinn, oft genug hast du darin Vernunft verpackt; nur nicht, daß du in Gefahr warst und mir nicht erlaubtest, gegen die Gefahr etwas zu tun. Übrigens ist dies der Anlaß für den Brief. Da ich nichts unternehmen durfte gegen deinen besessenen heißen Schlaf, gegen dein bewußtloses Reden, bin ich noch einmal nicht gekommen und betrete erst jetzt deine Wohnung mit einem Bückling, wie er den Kindern auf der Promenade von Misdroy beigebracht wurde, damit sie wußten,
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