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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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sich durchs ganze Dorf; nun bestanden sie darauf, daß seine Kinder nicht fremd taten. Die später ihren Kapitän geheiratet hat, stand vor ihrer Tür und nahm uns mit zu ihrem Abendessen. Wo der Flur sich verbreitert, hatte sie ihre Küche, eine von der alten Art, mit einem Steinherd, auf dem es in vielen Töpfen brutzelte, da gingen und kamen Leute, holten sich einen Schluck Wasser mit der Schöpfkelle aus dem Wassereimer, setzten sich zum Essen hin, ließen sich einen eingießen, waren nur für ein Wort hier. Diese Geselligkeit war was lohnt. Sie war nicht beleidigt, als uns der Speck widerstand, sie machte uns Mettwurstbrote, und als dann immer noch ein Mißtrauen in unseren Mienen zu entdecken war, schickte sie uns mit den Stullen nach Hause, und dort erbarmte sich Alexander und aß sie sämtlich auf. Es hat aber seiner mecklenburgischen Reputation ein wenig geschadet.
    Abends, wenn wir von der See kamen, trafen wir auf gleichaltrige Kinder, die Kühe nach Hause trieben. Die Nacht auf dem Fischland war zu rauh für Milchkühe. Alexandra starrte verzaubert auf Inge Niemann, vor deren Stock die Kuh so geruhig her ging, und Paepcke bat Inge, seinem Kind Kuh und Stock abzutreten. Paepcke war vergeßlich an jenem Abend, er ging weiter. Aber alle Kühe gingen weiter, und Alexandras blieb stehen. Sie nahm sich auch die Freiheit, noch ein wenig vom Wegrand zu fressen. Alexandra sah mich an, aber ich mochte ihr nicht raten, das Tier zu hauen. In ihrer Verzweiflung gab Alexandra dem Biest einen freundlichen Schubs, und die Kuh sah verwundert hinter sich, uns gerade in die Augen. Aus dieser mißlichen Lage rettete uns Alexander, der unterwegs doch über die Kinder nachgedacht hatte.
    Und niemals mit einem barften Kopf ins Bett.
    Be wise then, children, while you may,
    For swiftly time is flying.
    The thoughtless man, who laughs to-day,
    To-morrow will be dying.
    Cresspahl, der sein Kommen ausgeschlossen hatte, kam zu Ende des Juli. Alexander freute sich auf die Abende einer ganzen Woche und sagte: Bist’n goden Minschen, Hinrich!
    Einmal hatte Paepcke doch auf der Post in Ahrenshoop zu tun, nahm sich ein paar von seinen Kindern und ging auf dem Boddendeich spazieren, am Dornenhaus vorbei und an der Mühle, die heute nicht mehr steht, bis zur alten Schanze. Auf der Ahrenshooper Straße sah er seinen Cresspahl unterwegs mit einem Mann, der nicht anders zu taxieren war als auf Kurhaus, auf feine Gesellschaft. Einer, der nach Berlin aussah, nach Beamtem, nach Parteiabzeichen. Das Parteiabzeichen erblickte Paepcke, als er die beiden überholte, und er hörte, daß Cresspahl mit dem anderen auf eine eifrige Weise zu Gange war. Mit »Fritz« redete er ihn an. Cresspahl kam gleich hinter Paepcke vor der Post an. - He hett mi föe’n Bådegast nåmn: sagte er ohne Aufforderung, und Paepcke mußte sich entschließen, ihm zu glauben. Es sah aber Cresspahl nicht ähnlich, sich von einem Fremden für einen Badegast ansprechen zu lassen und dann noch mit ihm spazieren zu gehen, in Gespräch doch und die Hände behaglich auf dem Rücken.
    Dat harr Alexander nich vedeint, Cresspahl.
    Un wenn ick’t em seggt harr, harr he dat vedeint, Gesine?
    Du hest em nicht truut.
    He süll mi nich truun mötn.
    In der Nacht bombardierten die Alliierten Hamburg. Hamburg war vom Fischland aus nicht zu sehen.
    In diesem Sommer traute Alexander sich nach langem Genieren, Cresspahl etwas zu fragen. Es waren nun doch ein paar tausend Mark Schulden mehr, als er verkraften konnte. Cresspahl galt nicht als geizig, doch als sparsam, und Alexander, zu seiner ungläubigen Verblüffung, wurde alle Verpflichtungen auf einmal los. Cresspahl fragte nicht einmal, was die im einzelnen waren. Sie sprachen obenhin von Rückzahlungen. Cresspahl verließ sich darauf, daß Gesine ein Anteil an Paepckes althäger Haus überschrieben würde, wenn Alexander es von seinem Großonkel erben sollte. Es galt nicht, aber Alexander hat sich daran gehalten und schrieb es in Kiew in sein Testament. Hilde hat es nie erfahren. So hat Cresspahl damals an vielen Stellen in Mecklenburg Geld für sein Kind versteckt; für den Fall, daß sie ihn erwischten. Daß sie ihm den Kopf abschlügen.
    Es war ein ganz stiller Sommer. In der Luft waren nicht die Flugzeuge wie in Jerichow. Das morgendliche Wummern der Küstenbatterie, am Tag war es vergessen wie das nächtliche Nebelhorn, das auch nicht zu sehen war.
    Dann sollte Cresspahl noch den Paepckeschen Streit schlichten: ob das Leuchtfeuer,

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