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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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atmend zurückkam, sagte Hilde mehrmals und vorwurfsvoll seinen Vornamen, als beginne sie ihm erst jetzt nachzurufen. Alexander brachte den Kindern das Schwimmen bei, auch indem er ihnen einredete, sie könnten es bereits. Er sprach von einer »Sandbank«, die zwei Meter vom Strand entfernt war, und als er die Kinder bis dahin hatte, schwammen sie ihm weiter nach.
    Der Strand war spärlich mit Strandkörben bestanden. Es war still, denn von den althäger Büdnern vermieteten nicht viele, und ohnedies galt der Ort als Dorf, das benachbarte Ahrenshoop hingegen, im pommerschen Preußen, als »Badeort«. Althagen hatte ein einziges Hotel, benannt nach der Ostsee, der es an der Straße gegenüberstand. Es schrieb sich mit einem accent circonflexe, und Paepcke wollte es Gesine erklären. Leider wußte sie es von »ihren« Franzosen in Jerichow, und er mußte sich gleich wieder etwas für die anderen Kinder ausdenken, damit sie nicht gekränkt waren.
    Es war inzwischen noch ein Kind gekommen, Klaus Niebuhr aus Friedenau in Berlin. Der Knabe tat sich viel darauf zugute, daß er allein bis hierher (»auf das platte Land«) gereist war, aber Eberhardt, Junior, zu lange mit den drei Mädchen zusammen, hatte sich eine neue Sicht auf die Welt zugelegt. Er unterstützte nicht die männliche Seite, sondern verwies auf Gesine, die auch allein gekommen war. Der Mann Klaus war gekränkt, obendrein von einem Mädchen überrundet worden zu sein, und nun war endlich die Gelegenheit, ein Taschenmesser zu verschenken.
    Im Ostseehotel hätte Alexander Paepcke sich hinsetzen können mit seinen Kumpanen, da schmeckte ihnen das Bier nicht. Das Kurhaus in Ahrenshoop, es hatte zu feine Gesellschaft. Paepcke betrachtete sich selbst als Gesellschaft, selber fein. Er ging manchmal mit Reineke Voss ins »Seezeichen«, sprach dem Unternehmen aber durch die Bezeichnung »Setzeichen« sein Mißtrauen aus. Am liebsten tranken sie in Malchen Saatmanns Konditorei. Im Winter ein Platz für die Einheimischen, war sie im Sommer auch Gartencafé. Malchen war eine propere Frau, fest, stramm; ich weiß nichts für ihr Gesicht und würde sie erkennen. Malchen sprach kein Wort zuviel, nicht einmal zu Kindern, aber sogar Kinder hatten das Gefühl, reell bedient zu werden.
    Nirgends roch der Kuchen so gut wie bei Malchen Saatmann. Das Fischland war arm an Gerüchen; da ist der Geruch von Salzwasser, von Fischen, von verfaulendem Tang. Nach dem Krieg habe ich nicht wiedergefunden bei Malchen Saatmann, wie der Laden roch. Die Kinder kauften am liebsten »Schnecken«. Wenn sie nach der Verkaufszeit Brot holen sollten, durften sie von der Toreinfahrt im rückwärtigen Teil des Hauses in die Backstube gehen. Es waren Ferien, mit Ereignissen an jedem Tag.
    Wenn es regnete, spielte Alexander mit »seinen« Kindern Mensch Ärgere Dich Nicht. Er nannte es aber Pakesi, so wie Cresspahl es aus London mitgebracht hatte, nach dem Hindiwort für 25, Parcheesi; und weil es etwas Britisches war, wurde es auch mit seinen besonderen Regeln gespielt: daß zwei Figuren gleicher Farbe auf einem Feld stehen bleiben dürfen und obendrein eine Barriere bilden; daß eine Figur auf den Ausgangsfeldern aller Farben frei ist (»Home Rule«); daß drei Sechsen zuviel Glück sind und eine Rückkehr nach Hause bedeuten. Paepckes Alexandra konnte es am wenigsten aushalten, wenn ihre Figuren zurückgeworfen wurden; in ihrer Haut schlug das Erröten ganz tief durch, und dafür schämte sie sich noch. Wer gerade mit Verlieren beschäftigt war, mochte nicht gern herausfinden, auf welche Weise denn alles sich zum Guten für ihn wendete. Paepckes Gutmütigkeit kam ihn aber schwer an; am Ende starrte er wortlos, mit bösem Blick auf seine verlorene Partie, und war ein Mensch, Der Sich Ärgert.
    Das Haus war nicht so herrschaftlich geblieben, wie Alexanders Großonkel es geplant hatte, mit antiquarischen Möbeln und kargen Wänden. Alexander hatte dorthin ausrangierte Stücke aus seinen früheren Haushalten verschleppt, halb kaputt, mit rissigen Bezügen, eben recht für Kinder. In allen Zimmern standen Blumen. In jedem Zimmer konnte ein Kind allein sein. Dort, auf einem wackligen Sofa mit sanft sich aufbäumenden Seitenlehnen, habe ich mich ins Morgenland gelesen, schritt auf Marmorstufen hinab zum Wasser, wo große Fische anlegten, und war Harun al-Raschid.
    Alexander hatte seine Ferien in Althagen verbracht, seit er sechs Jahre alt war, er sprach das Fischländer Platt wie die Fischländer und duzte

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