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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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die Rehabilitierung gesetzt haben!
    – Kann man Tote wiederherstellen?
    – Diese stalinistischen Säuberungen nach Kriegsende, es hat sie doch gegeben
    – Wir sind hier eine gemütliche kleine Familie. Kommen Sie doch zu uns.
    – Ihr Glas bedarf einer neuen Füllung.
    – Wollen wir wetten, daß Ihre tschechoslowakische Sache, oder wo immer das ist, daß es kaputtgeht? Wollen wir das? Unter Zeugen?
    – Den kenn ich. Der ist immer gleich so schwer angeschlagen.
    – Der Sozialismus reinigt sich selbst.
    – Früher konnte man nur nachts nicht in den Central Park. Ist Ihnen das aufgefallen mit den 47 Kindern, die heute beinahe ertrunken wären, mitten im Central Park?
    – Die Sowjetunion hat andere Sorgen.
    – Das glauben wir Ihnen ja.
    – Das könnte Ihnen so passen, daß die Sowjetunion für Sie den Krieg in Viet Nam beendet!
    – Sind Sie zum ersten Male in New York? Fahren Sie um Gottes Willen nicht mit der Ubahn!
    – Ich möchte nun doch auch eine Bloody Mary.
    – Bravo, Herr Kristlein!
    – New York ist nicht mehr, was es mal war.
    – Nehmen Sie den Pavillon.
    – Nehmen Sie Manny Wolfs Steakhaus.
    – Nehmen Sie das Restaurant im Waldorf.
    Mußte sein, Gesine.
    Mußte sein.
    Wenn du schon hingehst, warum drückst du dich an den Wänden herum?
    Damit ich es sehen kann.
    Du sollst den Mund aufmachen, Gesine!

17. März, 1968 Sonntag
    Der Präsident Johnson hat sich gegen die Bankiers entschieden. Zwar schickt er nach Viet Nam nicht die 206 000 Soldaten, die sein Westmoreland bestellt hatte, doch immerhin 35 000 oder 50 000.
    In Prag haben sich zum ersten Mal nach dem Umsturz ehemalige Soldaten versammeln dürfen, die im Spanischen Bürgerkrieg oder auf der Seite der Alliierten gekämpft haben. Zwanzig Jahre war an ihnen nicht wichtig gewesen, was sie gegen die Faschisten taten, sondern daß sie daher Leute in anderen Ländern kannten.
    In Polen erklärt die Kommunistische Partei sich Arbeitern so: sie habe oft »schwierige und nicht populäre« Entscheidungen getroffen, aber »wir sind keine Partei für die Schwachen«. Und ist es denkbar, daß Studenten aus freien Stücken demonstrieren in Polen? Es ist nicht denkbar für die Partei, ohne daß dahinter Juden stecken und Polen an Westdeutschland und Israel ausliefern wollen.
    Wenn Alexander Paepcke reiste, bereitete er die Reise vor. Er suchte die kürzeste Fahrzeit heraus und den günstigsten Anschluß, und von der Haustür an mußte seine Familie sich nach keiner als seiner Uhr richten. Als er im nassen Juni 1942 aufs Fischland fuhr, richtete sich der Zug nach Stralsund nicht nach Alexanders Uhr und kam zu spät an, als daß der nach Ribnitz noch hätte warten können. Alexander war gekränkt über die zwei Stunden Wartens in Stralsund. Zwar bediente er den Krieg nun in der Zivilverwaltung der besetzten französischen Gebiete, aber in der Gestalt einer Zugverspätung erkannte er den Krieg nicht, da es ein Zug in Deutschland war, der ihm das angetan hatte.
    Deswegen stand das Kind Cresspahl lange Zeit auf dem ribnitzer Bahnhof unter einer Werbetafel für Schachenmayr-Wolle und mochte von Alexander nicht glauben, daß er sie im Stich ließ. Sie machte sich fast zu spät auf, den Weg zum Hafen zu suchen. Auf dem Fischlanddampfer zogen sie eben den Steg ein. Er saß da wie eine fette schwarze Ente, die es eilig hat. Sie setzte sich mit dem Gesicht nach hinten. Der Vater hatte sie von sich weggeschickt, obwohl in Mecklenburg noch Schule gehalten wurde. Hinter dem Schiff blieb der Kirchturm von Ribnitz zurück, dann der von Körkwitz, dann die Düne von Neuhaus. Es war möglich, daß sie Jerichow nicht wieder fand.
    Sie stand den halben Nachmittag an der Anlegebucht von Althagen, ein neunjähriges Kind in einem zu oft gewaschenen, zu langen Kleid, einen verrutschten Hahnenkamm auf dem Kopf. Sie hatte keine Karte für die Rückfahrt. Das Taschengeld für die Reise war fast ganz für die Fahrt mit dem Schiff draufgegangen. Sie konnte nicht beweisen, daß sie nach Jerichow gehörte. Sie fürchtete, das Paepckesche Ferienhaus nicht mehr zu finden nach den drei Jahren. Sie stand auf der rechten Seite der Bucht, die damals schon etwas verschilft war. Die Schiffsschraube hatte Pflanzen im Wasser losgerissen.
    Dann kam Paepcke mit dem Dampfer, der die Arbeiter aus Ribnitz zurückbrachte. Er war nun auf eine entschlossene Weise zufrieden. Stralsund war doch gut gewesen für den Besuch in einem Spielzeugladen. Er hatte Geschenke gemacht. Er kam wieder einmal

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