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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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seiner herausfordernden Art, die von Cresspahl doch nicht Ärger sondern eine Anerkennung holen sollte.
    Wie ein Klaus Böttcher 1940 in Bromberg gelebt hatte: Volksdeutschen Mädchen ging er aus dem Wege, deren Väter hatten Funktionen in der Partei. Die deutschen Zivilisten waren ihm im Ganzen unappetitlich, »verkrachte Existenzen« in jüdischen Villen, Rüstungsschieber, Enteignungsgewinnler, Währungsspekulanten. Nein, Klaus -
    Was. Das hört sich an nach Ferien.
    Na klar Herr Cresspahl. Bloß daß es ein Ferienkurs is, nich?
    Nee, Klaus.
    Wir lernen da Russisch, in so einer Schule für Offiziersdienstgrade.
    Wat wullst du mit Russisch, Klaus!
    Weil es doch losgeht gegen die Russen! Nächstes Jahr.
    Was habt ihr denn so für ein Divisionszeichen?
    So ne gelbe Schnur auf der rechten Schulter. Nichts Dolles, Herr Cresspahl.
    er ging nachts mit einer Polin aus, erschien allmorgendlich um 6 Uhr in der Kaserne, verantwortlich für Ausbildung und Unterricht. Mit Pervitin ging es. (- »Pervitin«? fragte Cresspahl.) Die Urlaubsbestimmungen waren gelockert, denn das Regiment kam aus Schneidemühl, und die Mannschaften waren schon durch ihre Namen als Verwandte der einheimischen Zivilisten ausgewiesen. Allerdings war Ausgang nur zu Paaren erlaubt und für Polen die Straße nach 10 verboten. Also verschaffte Klaus seiner Liebe einen Militärmantel und eine Mütze, zog so nachts mit ihr durch die Stadt. Wehrmachtspersonen durften in Restaurants die Waffen nicht ablegen; Klaus aber schenkte seinem Mädchen eine kleine Damenpistole, damit sie sich wehren konnte gegen die Volksdeutschen, die ihr auf den Leib rückten. Mit den Freunden des Mädchens feierte er Weihnachten und brachte ihnen die deutsche Art bei: Gemütlichkeit muß sein, aber unterm Weihnachtsbaum wird nicht gesoffen. Dann wurde Klaus zum Kommandeur befohlen. Feldmarschmäßig. Auf dem Tisch lagen Klausens Briefe, Bilder, alles der Polin abgenommen. Der Oberleutnant kannte ihn von der gemeinsamen Ausbildung her, von Abenden im schweriner Residenzcafé, duzte ihn, schrie ihn zu therapeutischen Zwecken an, als er nach dem Mädchen zu fragen versuchte. - Zeigen Sie mich nun an wegen Rassenschande? hatte Klaus am Ende Cresspahl gefragt, in einer listigen, lustigen, nachgerade verzweifelten Art. - Wenn ich bloß wüßte, ob sie lebt! hatte Klaus gesagt, mit einem Mal nicht weltläufig, nicht stolz auf seine Taten, zweifelnd an den Plänen für sein Leben.
    Am vorletzten Tag des Urlaubs erzählte Klaus doch wieder aus seinem Leben. In Böttchers Guter Stube saßen die Leute unbehaglich. Es mochte ein Jeder wissen, was er mit Böttcher gemeinsam am Stecken hatte, nicht aber, warum er in Gesellschaft mit den anderen Gästen war. Zu Anfang mußte verhandelt werden über solche Sachen wie die, daß den Friseuren die Herstellung von Dauerwellen nicht mehr von Gesetz wegen untersagt war. Das war so, aber würde es dauern?
    Aus Jerichow waren nur Cresspahl und Kliefoth geladen. Die Verlegenheit kam nicht nur von der Anwesenheit eines Parteimitgliedes vom Finanzamt Gneez, auch von Klausens unsicherem, zögerndem Gehabe. Er hockte zwischen seinen Eltern auf dem Sofa, gar nicht der stramme Oberfeldwebel, sondern ein Junge, dem der Urlaub hätte doch verlängert werden sollen. Klaus strich sich die Haare aus der Stirn, schüttelte sie wieder hinein, wollte sich die Gesellschaft mit brummigen Nei-Neis und fremden Blicken vom Leibe halten, bis Mutter Böttcher zum Büfett schritt, das Schnapsfach aufschloß und dem behüteten Sohn, dem eigenen Kind die Kümmelflasche hinstellte und stehen ließ, zu beliebigem Einschenken. - Wen’ck nich schlåpn kann, will’ck weiten, worüm: sagte sie.
    Ick dörf gar nicks vertelln. De scheitn mi dot.
    Min leewn Klaas. Wi sind dine Öllern, dat is Kliefoth, dat is Cresspahl -
    Naems mi dat nich œwel.
    Man los, Böttcher. As in de Schaul!
    Jå. Jå. Wir warn da so Kraftfahrer, ein halbes Hundert, und sollten 180 schwere Belgier im Fußmarsch von Białystok nach Smolensk bringen, zur Pferdesammelstelle. 20 Kilometer am Tag. Nachts haben wir die Pferde in Ställe getrieben, auch in Wohnhäuser. Die waren den Biestern zu eng, da wollten die Kraftfahrer nicht mit rein. Die Pferde hatten Angst, schlugen zu ohne hinzusehen. Und ich der Öberste. Schietspæl.
    Klaas.
    Die S. S.?
    Dat is nu so, Herr Kliefoth. Verhaßt is die S. S. nich, schlagen tun die sich wohl auch bis zum letzten Mann, muß Ein’ wohl sagen. Aber Nazi sind sie, und sollen die

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