Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Territorialgewässer Nord-Viet Nams verletzten. Anders als Regierung und Kriegsministerium behaupten. Warum das nur 31 Zeilen bekommt, tief im Innern des Blattes.
Die Frage ist falsch gestellt. Ob wir noch Fragen haben.
Noch eine. Warum die 22 amtlichen Kriegstoten von heute nur einen kleinen Fetzen von 13 Zeilen bekommen. Warum von ihnen 18 ohne Namen abgeschrieben werden, und warum nur Roland A. Galante aus Ridgewood in Queens, Ernest P. Palcic von Staten Island, Peter L. Lovett aus der Bronx und Frederick A. Pine aus Trenton zum letzten Mal in der Zeitung stehen, wie sie geheißen haben. Muß einer aus New York und Umgebung sein, damit sein Tod in Viet Nam persönlich verzeichnet wird in der nützlichsten Zeitung, die er hätte lesen können?
So kann man das nicht sehen. Ob wir noch Fragen haben.
Any questions?
Fit to print?
28. Januar, 1968 Sonntag
John Ramaglia in Newark, 211 Nord 6. Straße, läßt durch die Times bekannt machen, daß er in einer Sache auf Leben und Tod die Hilfe eines Anwalts benötigt. Sein Telefon werde abgehört. Dann gibt er die Nummer an (201) HU 5-6291.
Im Postamt von Jerichow war an den Verteilerschrank eine Fangliste geheftet, immer noch zum Mißvergnügen von Obersekretär Knewer, der so lange die Standesehre eines deutschen Postbeamten zitiert hatte, bis Edgar Lichtwark ihm mit der Entlassung aus dem Dienst und dem Verlust der Pension gewinkt hatte. Als Knewer sich fügte, wurde er mit der Rückstufung aus der Personalabteilung bestraft, und war nicht einmal mehr würdig für telefonische Vermittlungen und Briefe per Einschreiben, und mußte nun innen die eingelieferten Sendungen stempeln und die wie die ankommenden nach Absender und Empfänger prüfen. Seine dienstlichen Telefonate waren nur noch Meldungen an die Geheimpolizei in Gneez, wenn Post von einem oder für einen Observierten vorlag. Berthold Knewer wehrte sich nur noch ganz wenig, so wenn er dem Parteigenossen Lichtwark zuhörte mit einer Beflissenheit, die Hohn ausdrücken sollte darüber, daß er Weisungen entgegenzunehmen hatte von jemand, den er für einen verbummelten Oberbriefträger aus Berlin-Lichtenberg hielt. Knewer sah dabei aus wie ein Papagei mit gesträubtem Gefieder, so krauste er die Nase, und gewann damit nicht die seit fünf Jahren ausstehende Beförderung, sondern einen Spitznamen. Im übrigen ging es ihm um das Grundsätzliche an seiner Würde, und er hätte einen zur Kontrolle angeforderten Brief nicht zu Gunsten des Empfängers unterschlagen, um so weniger, als er sich beobachtet glaubte von einem der beiden Lehrlinge, denen er nun beibringen mußte, daß der Stempelhammer in einer nur erahnbaren Lockerheit gehalten werden mußte, damit Jerichows Stempel dem Hitler klar auf dem Schädel saß. Die Briefüberwachung blieb für Knewer dennoch ein Dienstgeheimnis, und mit dem fertigte er Papenbrock ab, der ihn zu fragen versuchte, warum manche Briefe heutzutage zwei Tage nach Hamburg brauchten.
Papenbrock war nicht auf der Liste. Cresspahl war nicht auf der Liste. Verzeichnet war Semig, als Absender, und lediglich auf Betreiben von Friedrich Jansen, dem die politische Polizei seine Gefälligkeiten entgelten mußte. Über die ersten Briefe von Dora hatte Jansen sich gegiftet. Der Jude hatte ins Unglück sollen und saß doch mit seiner Frau an einem Ort in Niederösterreich, wohin Jansen nicht einmal zur Kur kommen würde. In einem Schloß wohnten sie, an einem gräflichen Abendtisch durften sie Platz nehmen. Und sie verrieten nichts. Dora dankte Lisbeth Cresspahl mit keinem Wort für erwiesene Hilfe; den Cresspahls war wiederum nichts nachzuweisen. Und Friedrich Jansen hätte so gern gewußt, wo die Semigs ihr Geld gelassen hatten. Er glaubte nicht, daß sie jeder mit zehn Mark in der Tasche über die Grenze gefahren waren. Die hatten doch mehr gehabt als Haus und Stall und Praxis! Als Jansen das Haus besetzen wollte, traf er auf einen Möbelwagen, und die Packer zeigten ihm Urkunden mit schweriner Stempel, wonach der Jude in seiner widerlichen Klugheit das Grundstück mit festem und beweglichem Inventar den Eltern seiner Frau überschrieben hatte. Friedrich Jansen hatte diesen hochmögenden Kösters ein Mietangebot gemacht, und war bedient worden mit zwei Zeilen. Das Haus war auf zehn Jahre an die Luftwaffe verpachtet. Er konnte dem Rechtsanwalt Kollmorgen nicht nachweisen, daß der keinen jungen Veterinär in Erlangen für Semigs Geräte gefunden hatte. Wo Jansen ein neues Loch sich ausdachte,
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