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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Wette?
    – Ein Einvernehmen.
    – Wenn auch dies nicht gelingt, gäbe ich auf, D. E.
    – So will ich es nicht.
    – Moetst mi næmn as ik bün.
    – Unkrut vegeit nich: so kolt is kein Winter nich.
    – Gute Nacht, D. E.
    – Ich mein es auch so.

6. Februar, 1968 Dienstag
    In Westdeutschland gibt es einen Millionär, der zu gleicher Zeit ein Mitglied der Freien Demokraten und der ostdeutschen Kommunisten war und durch Nachrichtenlieferungen »ein Loch in der Trennmauer durch Deutschland offen halten« wollte. Die New York Times sagt weiter, daß die militärische Abwehr der D. D. R. ihn hochgehen ließ, weil er nur für den Staatssicherheitsdienst der D. D. R. arbeiten wollte.
    In Warschau soll in geheimer Verhandlung gegen den Verfasser einer Operette verhandelt werden, weil er damit, nach einem Gesetz von 1946, »falsche Nachrichten« verbreitet habe.
    Lisbeth Cresspahl hatte schon schwer ertragen, was sie von ihrem Mann über den kommenden Krieg anhören mußte; im Herbst 1938 mußte sie ansehen, daß er auch noch danach handelte. Sie konnte nun nicht mehr annehmen, daß er sie mit seinen Reden nur zur Rückkehr nach England hatte bewegen wollen; sie sah, daß er sich nach ihrem Willen auf ein Bleiben in Deutschland einrichtete, aber für einen Krieg. Cresspahl fuhr einkaufen.
    Die eine Liste hatte er selber angefertigt. Obenan standen die Sachen aus Stahl, Eisen, Messing: Sägeblätter, alle Größen Nägel, Äxte, Feilen, Hobelblätter, Raspeln, Zwingen, Spaten, Beschläge für Möbel, für Türen, für Fenster. Dem folgten Treibriemen für die Maschinen, Benzin, Öl, Schmierfett. Er kaufte wahrhaftig einen Motor, der nicht auf Elektrizität lief, nahm ihn auseinander, verpackte die Teile in Ölpapier und trug alles in den Keller unter dem ehemaligen Wohnzimmer, hinter eine neugezogene Wand, die nach einem Verschlag für Gerümpel aussah. Seine Käufe fielen in Jerichow nicht auf, weil er die Vorräte in Lübeck, in Hamburg, in Schwerin besorgte, auch weil ein Tischlermeister elektrische Sicherungen gleich in der Hunderterpackung mitnehmen darf, wenn er mit einem ungünstigen Leitungsquerschnitt arbeiten muß.
    Lisbeth versuchte ihn aufzuhalten, weil so an Wirklichkeit zunahm, was er von den nächsten Jahren erwartete, und Cresspahl verwies auf die Alteisensammlung, die am 19. Oktober die letzten Brocken für die Aufrüstung aus den Häusern kratzen sollte. Cresspahl hatte wohlweislich eine Menge bereitgestellt, erheblich an Gewicht, geringfügig an Brauchbarkeit, und bewahrte die Quittung sorgfältig auf. Lisbeth wollte wenigstens zwei Petroleumlampen für unnötige Reserve halten, und Cresspahl sprach von der einen Bombe auf das Kraftwerk Lübeck-Herrenwyk, das Jerichow mit Strom versorgte. Auch diese Arbeiten tat Cresspahl in einer geruhsamen, unbeirrbaren Art, so viel Zeit er auch darauf wenden mußte; und nicht einmal über Geschäftigkeit oder Aufgeregtheit konnte sie sich lustig machen.
    Noch härter tat sie sich mit ihrer eigenen Liste, die er von ihr verlangte. Damit sollte sie selber zugeben, daß der Stadt Jerichow, ihrem Haus und Haushalt, ihrem eigenen Kind Zeiten bevorstanden, in denen es an Schuhwerk, Kleidung, ja Küchenmessern fehlen würde; sie hatte einen solchen Widerwillen gegen das Unternehmen, daß Cresspahl ihr einen Abend lang abfragen mußte, was sie unter seinen ärgerlichen Umständen brauchen würde, und sie fand sich erst bereit dazu, nachdem sie große Kartons mit Kerzen, Tabak, Sohlenleder in der Vorratskammer gefunden hatte. Sie klagte über Kopfschmerzen dabei, damit Cresspahl ein schlechtes Gewissen bekam, aber er gab sich nicht mit Leinen und Baumwolle zufrieden, sondern empfahl ihr obendrein Nähmaschinennadeln.
    Als sie selber einkaufen fuhr, kam sie oft vergnügt zurück aus Lübeck, aus Schwerin. Sie mochte gern schenken, und oft fiel eine Schürze, ein Umschlagtuch ab für die Arbeitsdienstmädchen; sie selber hatte Spaß an einer zierlichen Stickschere oder an einer Patent-Zitronenpresse, die sie nicht brauchen würde. Oft geriet sie in die Stimmung in der Zeit vor der Hochzeit, als Louise Papenbrock ihr die Aussteuer vervollständigte; und wieder und wieder war sie beruhigt von den Auslagen in den Schaufenstern. Sie sah da keinen Mangel, keinen Krieg angekündigt; an den Sonntagen brachte der Lübecker General-Anzeiger sechzehn Seiten mit Anzeigen, da inserierten die Firmen Underberg, Mercedes-Schreibmaschinen, Attika-Zigaretten (echt türkische Tabake),

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