Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
nich un wat du dån hest. Denn bedankn wi uns nu, Tante Anna.
Jetzt weinte die fremde Frau. Sie hielt sich an Cresspahls Arm fest, als sie an den Rand der Grube trat und ihre drei Hände Sand auf Anna Niederdahls Fußende warf. Dann zog Cresspahl die Handschuhe aus und griff in die feuchte Erde und bedankte sich bei der Toten für einen Nachmittag und für eine Seescholle, in sehr wenig Butter gebraten.
Dem Totengräber war es nur recht, daß diese Gesellschaft das Grab selber zuschaufeln wollte; sein Geld hatte er schon bekommen. Erst als alle gegangen waren, fiel ihm auf, daß sie sich am Hügel des Mannes Niederdahl nicht sehr in acht genommen hatten. Die Buchsbaumeinfassung war in einer gründlichen Art weggetreten.
Die Trauerfeier sollte in Plaths Haus stattfinden, weil die beiden Zimmer der Toten schon leergeräumt waren. Das Haus war aber voll von dunkel gekleideten Herren, von denen mindestens acht nicht auf dem Friedhof gewesen waren, und die Frau aus Breslau saß nicht an der Tafel. Was Gerda Plath da auftrug an Braten, Bier und Schnaps, es wurde recht langsam weniger. Die Mahlzeit sah eher nach einer Pflicht aus. Von denen, die hier gewartet hatten, kannte Cresspahl zwei. Er hatte sie vor fünfeinhalb Jahren in einer Wohnung an der Kronsforder Allee getroffen. Der damals die Besprechung geleitet hatte, dem die unbedingten Forderungen angestanden hatten als verhebe er sich, dem hatten die Nazis im Konzentrationslager Fuhlsbüttel den nackten Schädel eingeschlagen. Der an diesem Tage den Vorsitz hatte war ein verwegener Junge von kaum mehr als zwanzig Jahren, der in einem unerbittlich und lustig sein konnte. Gelegentlich strich er sich über die kurzgeschnittenen Haare, als sei da früher ein üppigerer sandfarbener Schopf niederzuhalten gewesen. Er konnte Plattdeutsch, und sein Hochdeutsch hatte einen dänischen Akzent. Es ging um die Unterstützung des sozialdemokratischen Emigrationsvorstandes, der im Frühsommer von Prag nach Paris umgezogen war. Die stockholmer Gruppe hielt daran fest, daß es nun Zeit war für die Aktionseinheit mit den Kommunisten. Der pariser Vorstand hatte deren Vorschläge im August wieder, und im September noch einmal abgewiesen. Dann war noch deren Aufruf vom 14. September zu verlesen, »an das deutsche Volk«. Cresspahl hörte wohl zu, aber mehr beschäftigt mit dem einverstandenen, nahezu freundschaftlichen Verhalten der Versammlung. Er fühlte sich nicht fremd hier. - Wir als Genossen: sagte einer in der Diskussion, und erwischte Cresspahls Blick. - Ja du nich: sagte der Sprecher: Du nich als Genosse, du als Cresspahl -! und Cresspahl war es recht, daß sein Streit mit der Partei zwar nicht vergessen war, aber nun doch als nicht bösartige, fast heitere Sache behandelt werden konnte. Er war ein wenig aufgezogen worden, wie das unter Freunden ging. Cresspahl nahm sich nun doch ein Bier, obwohl es erst später Nachmittag war.
Die Versammlung beschloß, den Leuten in Paris zuzustimmen, die Zusammenarbeit mit den Kommunisten auszuschließen und den Sturz des Hitlerregimes nur noch von einem Krieg und der Hilfe der Westmächte zu erwarten. Cresspahl ließ die Hand unten, weil er das Mitgliedsbuch zurückgegeben hatte, und sie sagten: Hinrich, nu hev di nich.
Als er an der Reihe war, ließen sie ihn zuerst von Jerichow Nord erzählen. Was er über den Flugplatz sagte, bedeutete den Krieg, den er seit 1935 vorausgesehen hatte; dennoch wurde er ein leises Gefühl von Unbehagen nicht los, vielleicht weil sie ihn bei der Abstimmung mitgezählt hatten. Er bot ohne Zögern Geld an. Er wurde nach der Möglichkeit von Unterkunft gefragt, und er zeichnete ihnen mit dem Finger auf die Tischdecke, wie sein Grundstück neben der Ziegelei und gegenüber Friedrich Jansens Dienst- und Wohnsitz gelegen war. Das ging also nicht; aber ob er nach Dänemark fahren würde. Cresspahl war gerne bereit, nach Dänemark zu fahren. Dann wurde ihm noch aufgegeben, den Umgang mit Peter Wulff abzubrechen, am besten mit einem Streit unter Zeugen; was aber Bienmüller benötige, müsse ihm geschaffen werden. Bei allem war Cresspahl ganz locker, witzig geradezu, und die anderen nahmen nun an, daß die Heirat mit der Tochter des reichen Papenbrock ihm doch nicht geschadet hatte. Im Gegenteil, einen munteren, einen geselligen Zug hatte die Frau ihm beigebracht. Das war dem Mann doch am Gesicht anzusehen.
Bevor die Trauergäste am Abend auseinandergingen, in Abständen, nur wenige aus Erwin Plaths Tür, die
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