Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
und dicht war wie ein Haus; so konnten die deutschen Internierten Cresspahl um wenig beneiden. Er hatte aber Handwerk zwischen sich und einer Aussicht auf Zukunft, die die anderen sich verrückt machten mit Gerüchten, Streit, Angeberei. Mochte er noch solche Art Anwesen in Schick halten wollen, zu Dank tat er es nicht. Wenn er für sich einen Löffel aus Birkenholz schnitzte, warum nicht auch einen für den Pritschennachbarn; noch lieber hätte er die zwei linken Hände so eines geistigen Menschen angelernt. Er nahm wohl zwei Finger Tabak, wenn es mit Dankesagen allein nicht abgehen sollte; zu Industrie und Handel ließ er sich nicht überreden. Da er obendrein kaum mehr Auskünfte gab als den Namen und ungefähr Jerichow, glaubte er sich in seiner Stube übersehen, im besten Fall geduldet. Dann wurde er unverhofft vom Posten abgeholt zur Wache und kam erst gegen Mitternacht zurück in die Baracke, da hatten nicht wenige auf ihn gewartet. Das konnte er erzählen. Vor dem Kommandanten war aufgestellt ein Koffer aus Holz, wie Cresspahl mehrere verfertigt hatte, frisch aus der Tischlerei beschlagnahmt, noch ohne die Initialen des Bestellers. Auf Vorhalt bekannte er sich als Urheber des Beweisstücks. Wegen eines doppelten Bodens verhört, verstand er noch die zweite Übersetzung daneben, gestand schließlich die Möglichkeit davon ein. Das war die Order. Sie brachte Cresspahl von den Mithäftlingen nicht Mißtrauen ein, eher Bedauern, als Strafarbeit. Er leistete sich nahezu vier Wochen mit dem Geburtstagsgeschenk für die Enkelin des Kommandanten, einem Kasten von zwanzig Zentimetern Höhe, zusammengefügt aus drei unterteilten Schüben, einem Stabrolldeckel, hölzernem Schloß und, zu Befehl, Geheimfach. Der heikle Auftrag hatte ihn einmal anders denken lassen an die eigenen Kinder: wie er ihnen eine noch geschicktere Kommode für die Hand bauen würde, vermittels Werkzeugen überdies. Das Honorar, zwei Pakete Krüll, verteilte er auf beliebige Anfragen, Lehrling war er nicht mehr im Knast; das hätte er sparen dürfen. Die anderen gaben sich mittlerweile zu erkennen als Nachbarn; ernstlicher regten sie sich auf, als nun auch untere Chargen des Wachpersonals Koffer bestellten, denn was konnte es bedeuten als baldige Abfahrt der Russen, womöglich in der nächsten Woche? Cresspahl hingegen hatte noch mehr Deutschen solche Behältnisse zu richten, für eine Rückreise nach Röbel oder Lauenburg, und war versorgt gegen der maßen verdrehte Anfechtungen. Ihm war gesagt worden: Du warten. So mochte er es zuwege bringen.
Den Winter verbrachte er nicht in jener Baracke, von der er sich trotz der nahen Elde Wärme zumindest in den Morgenstunden erhofft hatte; von Dezember 1946 an wurde er unter einem festen Haus gehalten, das dachte er sich aus als das Arsenal in Schwerin. Naß waren die Keller, aber nicht vom schweriner Pfaffenteich. Die Aufgabe war eine zweite Beschreibung seines Lebens. Viel brachte er nicht zustande, denn wenn in die Zelle laufendes Wasser über Nacht gefror, wie sollten da seine Finger wieder den Bleistift lernen? Auch machte ihn das von einem Bodengitter grau gehackte Hoflicht von neuem ein wenig blind. Die erste Fassung der zweiten geriet ihm recht tabellarisch, so daß er viel geschlagen wurde; er rechnete es als Glück, daß kaum je das Fleisch aufplatzte. Er hatte inzwischen zu lange von Suppe gelebt und gehungert, als daß er seinem Körper das Heilen offener Wunden zutrauen mochte. Er begriff, daß seine unsichtbaren Oberen nicht auf einer raschen Ablieferung bestanden, sondern auf einer vollständigen; das enthielt ihm schon die Kinderjahre vor. Geboren 1888 als Sohn des Gutsstellmachers Heinrich Cresspahl und seiner Frau, der Tagelöhnerstochter Berta geb. Niemann, wurde ich zu Ostern 1900 bei dem Tischlermeister Redebrecht zu Malchow/Meckl. in die Lehre gegeben. Die waren sämtlich tot; jedoch mochte es noch die von Haases geben, die nicht nur dem fünfjährigen Hütejungen Cresspahl erinnerlich waren, auch dem einunddreißigjährigen Mitglied des warener Streikrates, der bei denen Waffen für den Putsch des Landschaftsdirektors Kapp ausgegraben hatte. Was jene Familie mit kranken Gutsarbeitern anstellte, er wußte es nicht erst seit dem Tod seiner Mutter. Er war ganz zufrieden, daß solche Leute aus Mecklenburg verjagt waren auf die andere Seite der Elbe; sie in Person anzuzeigen ging ihm gegen den Strich. Das riß ihm solche Lücken in seinen Rechenschaftskalender, dafür bekam er Stöße
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