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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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dem Deutschen, und er nickte ihm zu, überdeutlich wie einem Kinde.
    Cresspahl schwieg vorläufig, er hielt dies für einen beliebigen Einfall des anderen. Immerhin hatte Pontij schon eine lange Fahne mit Hammer und Sichel am Turm des Postamtes aushängen lassen, nur weil dort ein Offizier die Fernsprechvermittlung bewachte, jedoch die Entfernung des Schildes »Deutsche Reichspost« verboten.
    Pontij räusperte sich ein wenig. Es tat seinem Hals gewiß nicht weh, es mochte versehentlich sein.
    Es war ein früher Abend gegen Ende des Juli. Cresspahl hätte auf den Äckern die Tagesleistung seiner Krüppelkommandos nachsehen müssen, er hatte Schreibkram auf dem Rathaus; nun war ihm Urlaub im Sitzen befohlen. Pontijs Arbeitszimmer mit den Mittagsfenstern war trocken und kühl geworden. Cresspahl konnte über der Kante des grünen Zauns sein Dach sehen und einen der Walnußbäume. Der Baum schwankte ein wenig in der Krone, und kein Wind ging. Der Schornstein war scharf beleuchtet von der Westsonne, der Rauch nahm ein wenig Gelb an, wenn er zwischen den abgewetzten Ziegelsteinen herauskam. Die Luft war so dick befrachtet mit einem süßen Geschmack, das konnte nicht von den Linden allein kommen. Hatte der Garten der Villa je nach Jasmin geduftet? Hatte Hilde Paepcke hier Jasmin gesetzt? es war nicht der Goldregen. Nun machte die Krone des Walnußbaums abermals einen Knicks. Als säße eine Katze darin.
    K. A. Pontij wünschte nicht etwa einen gewöhnlichen, sondern einen Ehrenfriedhof! Aber es gelang ihm ja nicht mehr, den Deutschen zu erschrecken. Der ruckte ein wenig in den Schultern, wie aus anderen Gedanken heraus. – Wohin? fragte er, nicht sehr gegenwärtig, es sah doch nach Gehorsam aus.
    Die Rote Armee, vertreten durch diesen Kommandanten, hatte an den Marktplatz gedacht.
    In seinen ersten jerichower Jahren war Cresspahl immer wieder verwundert, wie groß der Markt war in dieser kleinen Stadt. Und die geräumige Fläche zwischen den buntgiebligen Häusern war belebt gewesen, noch bis zu einer Stunde wie dieser. In der Erntezeit fuhren die Ackerwagen von morgens an auf die Stadtwaage, die wartenden Kutscher holten ihren Pferden Wasser von der Marktpumpe, standen im Gespräch mit einander, mieteten sich einen Jungen zur Aufsicht und gingen in Peter Wulffs Krug, einen heben. Da standen auch Kutschen, Ein- und Zweispänner, wenn die Damen des Adels einen Besuch machten bei den Damen des Bürgermeisters oder des Pastors. Waren Korn und Rüben abgeladen, fuhren die Wagen eine Schleife von Papenbrocks Hof in die enge Bahnhofstraße, da wurde den Pferden zugeredet, die Räder klapperten lauter ohne Last, und auf der anderen Seite des Marktes kamen sie zurück. In der Südwestecke stand das kleine Ausfuhrauto der Fischereigenossenschaft, der Eierhandlung Emma Senkpiel zum Trotz; Papenbrock hatte da öfter genommen, was er Anstoß nannte. Vom Mittagszug kam der Hausdiener des Lübecker Hofs mit seinem Plattenwagen, die müden Badereisenden hinter sich wie Schafe. Es hatte eine Zeit gegeben, da stand vor fast jedem zweiten Haus am Markt ein Auto, wenn es auch nicht zum Haus oder zu Jerichow gehörte. Wenn Fuhrunternehmer Swenson faul war, ließ er seinen Omnibus nachts dort stehen. Die Ostkante des Platzes hatte gegolten als zu vornehm für Ladengeschäfte, die war auf den Ansichtskarten gewesen, wie die Petrikirche. Um diese Zeit noch nicht, aber in einer Stunde waren die Wagen des Adels vor dem Lübecker Hof zu erwarten gewesen, wenn die Herren in Schwerin nicht auffallen wollten oder mit den Wirten in Schönberg zerstritten waren. Geräumig war der Platz, gewiß. Beim Einmarsch der Luftwaffe war es zu sehen gewesen, er hätte zum Exerzieren gereicht. Nun war er leer, und die nicht vernünftig benutzte Fläche hatte fast saugende Wirkung, da kamen Einem merkwürdige Gedanken bei.
    – Karasho: sagte der Herr Kommandant, vergnügt und einverstanden. Es war nicht entschieden, ob er seine Freude hatte am entschwundenen und künftigen Wirtschaftsleben Jerichows, oder am vorhandenen Raum. Cresspahl hatte gemeint, nun sei der Fremde von seinem Einfall weggeführt, er hatte ihn aber darin gefangen fest. Pontij freute sich darauf, die Mitte des Platzes mit der Meßlatte feststellen zu lassen, und womöglich bedauerte er, daß die Würde seines Ranges ihn hinderte, dort selbst mit dem Zirkel zu marschieren. In die Mitte also den Obelisken, Marmor, mit rotem Stern auf der Spitze und Plaketten an allen vier Seiten.
    Cresspahl kam

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