Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
die sie einst auch werden wollte, ginge das Geld vorbei an die Staatskasse. So viel haben wir verstanden, und mögen über die Aufrechnung von Morden gegen Zahlungsmittel mit ihr nicht reden. Dazu sollte die Überlebende beweisen, daß sie einmal unter deutscher Herrschaft war; offenbar reicht der amerikanische Entlassungsschein aus dem Lager Mauthausen nicht aus. Der ruthenische Winkel, in dem ihr Heimatdorf war, ist mal auf die eine mal auf die andere Seite der Grenzen gefallen, und gäbe sie einmal ungarische Hoheit zu, so würde sie auf noch ausstehende Diplomatie verwiesen. So sagt sie. Also verlangt die westdeutsche Botschaft von ihr Kenntnisse in der Sprache ihrer Verfolger. Sie sagt so. Sie muß nicht geradezu in die Park Avenue und auf einer Karte der Slowakei auf Deutsch nachweisen, wo sie abgeholt wurde; sie soll einen Brief schreiben. Sie kam an und beriet sich mit uns über sich selbst. – Bin ich eine Hausfrau, eine Haus-Frau, Mrs. Cresspahl? sagte sie. Wir wissen noch andere Worte für sie, wir haben nicht widersprochen. Ihr kam es so auf Redlichkeit an, sie hat den verbesserten Brief nicht nach Hause mitgenommen als Vorlage, sie hat ihn an unserem Tisch abgeschrieben, unbequem spreizbeinig auf der Kante des Stuhls, schwierig vorgebeugt auf das Papier, flüssig schreibend, mit schreckhaften Unterbrechungen. So hielt sie es für weniger Betrug, und wenn’s einer war, täten wir es noch mal.
Sie ist nicht nur glücklich mit den Bürgerpapieren, sie hat sich schon Stolz angenommen auf diesen Staat. – Die Regierung schickt doch Schecks überallhin! sagt sie, vergißt da nicht die würdige Befriedigung, daß die Regierung immerhin ihr nicht mit Schecks nachhelfen muß, sondern jenen, für die in Wahrheit Gott die Armut bestimmt hat, den ungeschickten Juden wie den leider gänzlich von der Vorsehung angeschwärzten Negern. Sollen wir ihr die Freude verderben und widersprechen? Sollen wir sie stehen lassen, weil sie in die Bürgerschaft eines Landes gegangen ist, das ein anderes in Südostasien ausrotten will?
Es geht nicht, sie muß uns doch die Prüfung erzählen. Mitten auf der 95. Straße, am drohenden Maschendraht des Schulhofs muß sie uns zeigen, wie sie Fuß vor Fuß setzte, als sie endlich aufgerufen wurde. Sie hat also versucht, den Kopf hochzuhalten, und daß ihr das Kinn gezittert hat, sie würde es abstreiten. Bebend und würdig ist sie in den Saal getreten, ohne Beistand, schutzlos einem Lamme gleich, und ein wenig hat sie sich festgehalten mit jeweils zwei Fingern an den Seiten ihres Kleides, bis die Nägel ihr durch den Stoff hindurch ins Fleisch drangen. Nein, sie wollte es nicht geschenkt haben, sie wollte Schmerz dafür geben. Dann haben die gelehrten Herren in den feierlichen Anzügen erkannt, sie ist bloß eine alte Jüdin, der werden sie nichts tun, und sie taten ihr nichts. Sie erinnert sich an eine einzige Frage. Wer denn Präsident wird, wenn Mr. Johnson totbleibt. – Gott ferbitt! hat sie ausgerufen, und bestanden.
Sie hat den Tag begangen, und ist nicht mit der Ubahn zurückgefahren sondern mit einem Taxi. Sie ist zu sehen beim Erzählen, sie hat den Arm ausgestreckt auf eine mehr gleichberechtigte Art als noch vorgestern, sie hat vor dem Auto gewartet, bis der Fahrer ihr die Tür entgegendrückte, einer Bürgerin doch nunmehr; sie hat sich fast ganz zurückgelehnt und das Handgelenk in die Schlaufe gehängt, ganz wie sie es bei anderen Menschen gesehen hat, und hoch über dem Hudson ist sie nach Hause gefahren worden, ein wenig wehmütig über das verschwendete Geld, ein wenig furchtsam vor dem Abklingen des Genusses, ganz entschlossen, ihn mit Erzählungen am Leben zu halten, und wären da die Cresspahls nicht unter den ersten an der Reihe?
Es soll uns recht sein, Mrs. Ferwalter, und wir gratulieren, wie es sich gehört.
Und dieser tschechische Film, The Fifth Rider Is Fear, er werde sich wohl nicht eignen zum Feiern? Etwas mit Furcht, es sei ja nichts mehr für sie. Wenn es hingegen etwas aus alten Zeiten sei, mit Musik –
Besser nicht, Mrs. Ferwalter. Es ist nicht aus alten Zeiten, die Musik muß da gelegentlich Gewissensqualen untermalen und wird auch sonst recht breit verwendet.
– Und wie geht es Ihnen Mrs. Cresspahl?
– Ještě dělám chyby. Es ist der Satz, den wir ungefähr am besten können. Ich mache immer noch Fehler.
– Ne! Nie nicht! sagt sie eifrig. An einem solchen Tag soll es einer Freundin von Mrs. Ferwalter nicht schlecht gehen, und zum ersten
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