Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
Vom Netzwerk:
war, blieb es lange still, und die Kinder schliefen ein bei sanft klirrenden Geräuschen. Das war das Nachtgetier, das durch die offenen Fenster auf die Kuppel der Petroleumlampe stürzte.
    Plath hielt seinem Parteifreunde vor, daß er nicht ohne Nachfolger gehen konnte, wenn er denn Jerichow verlassen wollte.
    Cresspahl brummte etwas. Es mochte bedeuten, daß es ohne ihn besser laufen möge.
    Also mußte Cresspahl eine Partei aufbauen, die dem Herrn Stadtkommandanten recht und lieb war. Die kommunistische. Von da her werde dieser Pontij einen neuen Bürgermeister annehmen.
    Cresspahl brachte nicht einmal eine sozialdemokratische zustande.
    – Ach was, die S. P. D.! sagte Plath, als schmecke ihm die eigene Partei nicht. Dann kam heraus, daß er sich in Jerichow schon umgetan hatte nach Mitgliedern von früher. Die hatten ihn hart abfahren lassen und einer, Peter Wulff, habe sich auf niemand berufen als auf Cresspahl selber. Der halte die Parlamenterei auch für Schiet.
    – All den ganzen Schiet noch eins …: murrte Cresspahl, streitsüchtig mit einem Mal.
    Plath hatte bloß einen Kägebein gefunden für die Christliche Union.
    Cresspahl war es recht, daß ein Auswärtiger ihm Arbeit abnahm. Er könne das nicht mal mit Spaß gutmachen.
    Nun wurde Plath geduldig, und eifrig, und sprach mit lauter Umwegen. Cresspahl erinnerte sich an seine Zeit in der Partei, an die heimlichen Absprachen vor der Sitzung, an die verabredeten Einwürfe oder Fragen zur Geschäftsordnung, bis das Ergebnis der Abstimmung »stand«, bevor noch einer die Hand gehoben hatte. Herausgekommen waren dabei kleine Mäuse. Und ein Panzerkreuzer. Cresspahl hielt einfach den Mund.
    Plath ließ sich nicht daran erinnern, daß er in den Artilleriekasernen von Güstrow der Jüngere gewesen war. Er stellte Cresspahl vor, daß die Kommunisten die Sozialdemokratische Partei nur aufbauen wollten, um sie später in einem Bündnis zu schlucken. Die Sache mit der Aktionseinheit, 1931, 1935. Erwin Plath war nun gekommen, die richtigen Leute gleich bei den Kommunisten unterzubringen. Nicht bloß Flüchtlinge, die auf neues Land hofften, nein, Einheimische, denen nicht gleich Gewinnsucht nachzusagen war. Kommunisten der ersten Stunde, und doch heimliche Posten der Sozialdemokratie. Alfred Bienmüller, Schmied in Jerichow, wollte das Opfer bringen. Warum wollte Cresspahl das nicht?
    Zu solchem Zwecke war Erwin Plath über die grüne Grenze bei Ratzeburg geschlichen, und zwar konnte Cresspahl den Abend noch länger halten mit Plaths Erinnerungen an vergangene Gelegenheiten, auch mit noch einer halben Flasche Wodka, die Enttäuschung rutschte ihm nicht einmal heraus. Zwar, sie war da. Er hatte gedacht, Plath wäre einmal seinetwegen gekommen, nicht der Sache zuliebe. Einen Augenblick hatte er überlegt, ob er doch Ja sagen könne, nur dem anderen zuliebe. Am Morgen war er erleichtert, daß Plath nächtens weitergegangen war zu einer neuen Ortsgruppe. Den Kindern aber war der Besuch erfreulich gewesen, und Hanna Ohlerich bat darum, daß Cresspahl die Adresse dieses umgänglichen Menschen aus Itzehoe unter ihren Augen aufschrieb.
    Von K. A. Pontij jedoch wurde Cresspahl kein Mal gebeten, ein Vorsitzender für die Kommunisten zu werden. Sein Bürgermeister sollte ihm die Parteien zwar machen, nicht aber einer beitreten. So sah es aus.
    Die Zeitung Rudé Právo, Organ der tschechischen und slowakischen Kommunisten, wendet sich mit einem Fragebogen an ihre Leser, über zwei Drittel einer Seite:
    Ist die innere Demokratisierung einer kommunistischen Partei eine ausreichende Garantie für Demokratie?
    Sollte die Kommunistische Partei ihre Führerschaft ausüben, indem sie mit Hingabe eine freie, fortschrittliche, sozialistische Entwicklung vorantreibt, oder indem sie über die Gesellschaft herrscht?
    Könnte man von einer sozialistischen Demokratie sprechen, wenn die führende Rolle nur von der Kommunistischen Partei wahrgenommen wird?
    Könnten Sie sich das vorstellen?
    15. Mai, 1968 Mittwoch
    Heute morgen war die Ubahn noch voller gepackt als sonst, und an der 96. Straße lehnte ein junger Mann sich immer von neuem gegen einen alten, der etwas zu verzweifelt hineindrängen wollte. – Grabsch nich so! sagte er, und bekam den Alten auch richtig auf den Bahnsteig. Hinter der geschlossenen Tür, im schon abfahrenden Zug sah man ihn noch schimpfen. Der Alte versuchte sich unter den Zurückgebliebenen zu verbergen, weiß im Gesicht, vermied alle Blicke, nach dem Akzent ein

Weitere Kostenlose Bücher